SSRQ ZH NF I/1/3 141-1
Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die
Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich.
Band 3: Stadt und Territorialstaat Zürich II (1460 bis Reformation), by Michael Schaffner
Citation: SSRQ ZH NF I/1/3 141-1
License: CC BY-NC-SA
Eingabe der Eherichter an den Rat betreffend Ernennung neuer Richter einschliesslich Verzeichnis der hängigen Fälle
1527 April 1.
Metadata
- Shelfmark: StAZH A 7.1, Nr. 2.3
- Date of origin: 1527 April 1 (Datierung aufgrund der Schreiberhand und des Inhalts) Transmission: Aufzeichnung (Doppelblatt)
- Substrate: Papier
- Format h × w (cm): 22.5 × 32.5
- Language: German
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Das vorliegende Schreiben vermittelt einen Überblick über die Fälle, mit denen sich das im Jahr 1525 geschaffene EhegerichtOrganisation: befasste. Zugleich wird daraus deutlich, dass das Gericht selbst nur über beschränkte Kompetenzen zur Verhängung von Sanktionen verfügte. In der Regel überwies es die von ihm untersuchten Fälle an den Kleinen RatOrganisation: , welcher in letzter Instanz über die zu verhängenden Strafen entschied. Durch die Erwähnung eines an die Stadt Stein am RheinPlace: abgesandten Missivs lässt sich die vorliegende Aufzeichnung auf April 1527 und damit in die Anfangszeit der Tätigkeit des Gerichts datieren. Die Bemerkung der Richter, dass sie auf Anfang Mai die Ernennung zweier neuer Richter wünschen, umreisst die später zum Usus gewordene Praxis: Danach bestand das Richtergremium aus sechs Männern, von denen je zwei dem KleinenOrganisation: und dem Grossen RatOrganisation: angehörten, zwei Richter jedoch der städischen Pfarrerschaft entnommen waren. Die vier Ratsmitglieder blieben für gewöhnlich während zweier Jahre im Gremium und wurden auf Ende April ersetzt, während die beiden geistlichen Vertreter länger im Amt blieben. Im Jahr 1538 wurde die Zahl der Richter auf acht erhöht (Grünenfelder 2007, S. 10). Ab den 1540er Jahren sind die Namen der Richter jeweils am Anfang der Ehegerichtsprotokolle vermerkt (StAZH YY 1.2 - YY 1.289).
Bis zur Reformation gehörten Ehesachen grundsätzlich in den Bereich der geistlichen Gerichtsbarkeit. So lag beim Rat der Stadt ZürichPlace: Organisation: nur die Kompetenz zur Beurteilung einiger ehegüterrechtlicher Fragen, alle übrigen Bereiche des Eherechts wie die Beurteilung von Eheversprechen, Fragen der Heirat und Ehetrennung fielen in die Kompetenz des Bischofs von KonstanzPlace: (vgl. dazu die Ordnung der Stadt ZürichPlace: betreffend Klagen in Ehesachen vor dem Offizialgericht in KonstanzPlace: Organisation: , SSRQ ZH NF I/1/3 56-1). Bereits im Verlaufe des 15. Jahrhunderts begann man in ZürichPlace: jedoch, die Rechtsprechung des Bischofs zunehmend auszuhöhlen, bis sie mit der Reformation ganz dahinfiel. Im Februar des Jahres 1525 setzte der RatOrganisation: eine Kommission zur Ausarbeitung eigener Ehesatzungen ein, im Mai desselben Jahres tagte das EhegerichtOrganisation: erstmals (zur Einsetzung der Kommission vgl. StAZH B VI 248, fol. 247r). Die Grundlage für dessen Arbeit bildete das gedruckte Ehemandat der Stadt Zürich vom 10. Mai 1525 (SSRQ ZH NF I/1/11 1-1). Mit weiteren Mandaten von März und Dezember 1526 wurden Ehebruch und allgemein uneheliche Sexualität unter Strafe gestellt (StAZH E I 1.1, Nr. 35; Edition: Egli, Actensammlung, Nr. 944; StAZH III AAb 1.1, Nr. 2). Das EhegerichtOrganisation: übernahm in diesem Kontext zunehmend auch sittengerichtliche Funktionen und beurteilte den Lebenswandel der vor ihm erscheinenden Personen, wobei den Ehegaumern auf der Landschaft eine vergleichbare Funktion zukam (für deren Eid vgl. SSRQ ZH NF I/1/3 170-1).
Das EhegerichtOrganisation: konnte durch alle in Stadt und Landschaft ZürichPlace: wohnhaften Frauen und Männer angerufen werden. Die Gerichtsgebühren betrugen pro Partei grundsätzlich den Betrag von 10 Schillingen (vgl. dazu das Schreiben der Eherichter an den RatOrganisation: aus dem Jahr 1541, StAZH A 6.1, Nr. 10). Die Richter besassen aber beträchtlichen Spielraum, diese Gebühren zu erhöhen und zu mindern, und setzten dies vermutlich auch als Mittel ein, ihre beschränkte Kompetenz zur Verhängung von Bussen zu erweitern (Beck 2001, S. 45). Jenseits des durch die Reformation definitiv vollzogenen Bruchs mit der geistlichen Gerichtsbarkeit führte die Tätigkeit des Ehegerichts die Verschärfung des Umgangs mit Formen ausserehelicher Sexualität fort, die bereits im späten 15. Jahrhundert eingesetzt hatte (vgl. dazu die Ordnung zum Ausschluss von Ehebrechern aus dem RatOrganisation: sowie die Regelung zum Umgang mit Totschlag im Zusammenhang mit Ehebruch, SSRQ ZH NF I/1/3 59-1; SSRQ ZH NF I/1/3 62-1).
Zu Einrichtung und Organisation des EhegerichtsOrganisation: vgl. Grünenfelder 2007, S. 5-14; Beck 2004, S. 189-192; Beck 2001, S. 35-39; Rost 1935, S. 23-54; Köhler 1932, S. 28-41.
Edition Text
An unnser herren ein ersamen raͧtOrganisation: anbringen von
den erichteren
meyennDate: period, einer dess kleinenOrganisation: , der ander dess grossen raͧtsOrganisation: ,
wie es angefangen ist, unser herren koͤnnend und soͤllen
ermessen die schwere der sachen, so dem egrichtOrganisation: uffgeleit
sind und darnach dapffer mann erwellenn.
erichter etwas (nach luth der satzung und ir
pflicht) von mund oder inn gschrifft etwas anzoͤigend,
das soͤmlichs nit mer verzogen oder hindergestelt, sonder
fu̍rderlichen angnommen und ussgericht werde,
dann sy koͤnnend sunst nit fu̍rfaren, handlenn
oder thuͦn, wie inen bevolchenn ist.
hinderred, anstoß und unruͦw erwachssenn von der
uffzu̍gen wegen, ane ir schuld, dann sy habend dick
und vil gschrifftlich anzeigt, das villicht vonn
anderer gschefften wegen gehinderet ist, darumb
woͤllind unser herren hierzuͦ ernstlicher und fu̍rderlicher ordnen und uffsechenn, so sol an unns erichteren
an fliß und ernst nu̍dt erwinden, damit gottes
eere und der gmein nutz gefu̍rderett und die laster
geminderet werdint.
ungehorsam und u̍bertretter, deren wyß, wort und
werck die erichter, so im radtOrganisation: sind, bas wu̍ssend zeerlu̍teren, kurtzlich hie also vergriffenn:
ist, sin offne huͦry zeenderen und zuͦ Sant PeterPlace: zuͦ
kilchen zegand, spricht, er sige zuͦ dem EinsidlennPlace:
gangen, zeigt kein urkund, hatt stoltze wort den
erichteren und meister LoͤwenPerson: ,1 sinem pfarrer, gebenn. a
sines torlichen hußhaltens halb, damit er ergernuss
gitt und verletzt etcAbbreviation. Der sprach, er woͤlt lieber vor einem
gantzen raͧtOrganisation: daru̍ber antwurt gebenn. c
ffilia von Ku̍ßnachPlace: , sin efroͧw, habend unseren herren
und dem egrichtOrganisation: vil unruͦw angestattet, wirt zit
und not sin, das unser herren die sach ussmachind,
dann die erichter koͤnnen dheins wegs mit ihnen
nahin komenn.
gsellen sin wib zuͦ einer toͤrinen gmacht und zuͦ
scheiden gepracht, darumb er billich ist zestraffen. d
Naͤgelins HoͤfflinPlace: zuͦ dem bachoffen und Elßi Ernstin,
genant BrenwaldinPerson: , sind vor langest gewarnett,
darab habend sy sich sovil gehuͤt und besserett, das
schier erstochens lebens e von iro wegenn was erstanden
und als die nachpuren klagt und gseit habend, ist
kein besserung ze hoffenn. f
ergriffen an einer dorheit und was bekantlich.
der metzger, hand sich vergangen, das inen sind [p. 3]Page break
andersthwo kinder worden etcAbbreviation. Dise begerend all
gnad und sprechend, sy wellind sy hinfu̍r huͤtenn
und nu̍men thuͦn, gern ze buͦß habenn. g
die mogenn thuͦn nach irem gevallenn.
gebe minder ergernuss in Zu̍richPlace: , wann sy by irem
buͦlen zuͦ WettingenPlace: were, sy fuͤrt hie ein uͤppig
weßenn. h j
am seil fuͤrt etcAbbreviation, hatt ein eman. Sy heißdt Kathrin
Graͤfin von FeldkilchPerson: und spricht, juncker Hansk
Ramschwager von GuͦtenbergPerson: sige ir eman. So wir
nun selber dess u̍ppigen volcks zuͦvil habenn, schickte
man billich soͤmlich froͤmbd, schedlich dirnen ferrer
hinweg uss unseren gepieten. l
gsetzt, wu̍ssend wir nit, ob unnser herren das erloubt
oder gefallen daran habenn, wir woͤllend
hierumb bscheidts erwarten, und das nit verhalten.
So doch ander ferrer har këmend, moͤchtend sy ouch
thuͦn, es were dann, das sy gelerter lu̍ten allweg
gwu̍ss werind.2 m
von WiedickenPlace: umb unbillicher zuͦred wegen, wie uns
Thoman RaͧfPerson: hatt anzoigt und sich erbu̍t kuntlich
zuͦmachen. n
Der erichter anbringen
Notes
- Addition on the left
margin in a later hand: Sol kundtschafft
umgenUncertain readingb, wo sy
zuͦ kilchen gangen
sigen, oder er sol
noch in siner
pfarr gon.↩ - Addition on the left
margin in a later hand: Sol fu̍r raͧtOrganisation:
beschickt werden.↩ - Addition on the left
margin in a later hand: Sol der vogt von KnonowPlace: erkundiget
machen, ob er ein
wyb hab.↩ - Deletion: w.↩
- Addition on the left
margin in a later hand: Diss darinn
gehandlen, wie
sich gepuret haͧt.↩ - Addition on the previous page in a later hand: Ist nachgelassen,
dann es ist vor
der satzung beschechen.↩ - Addition inline in a later hand: Es gaat der schryber von WettingenPlace: offenlich
ins hus und fuͦrt der apt von WettingenPlace: ir offenlich
schwin und win zuͦ hüß und uffenthalteit sy.↩ - Addition on the left margin in a later hand: Beschechen.↩
- Deletion: en.↩
- Addition on the left margin in a later hand: Beschechen.↩
- Addition on the left margin in a later hand: Es ist inen geschriben.↩
- Addition on the left margin in a later hand: Sol sich beugen.↩
- Gemeint ist Leo JudPerson: , der im Jahr 1523 zum Pfarrer von St. PeterPlace: ernannt worden war und seit dessen Schaffung als Richter des EhegerichtsOrganisation: tätig war, vgl. HLS, Jud, Leo.↩
- ZürichPlace: erteilte mit Schreiben vom 29. April 1527 der Stadt Stein am RheinPlace: die Anweisung, nicht eigenständig über Ehesachen zu urteilen, sondern die Untertanen an das ZürcherPlace: EhegerichtOrganisation: zu verweisen (StAZH B IV 3, fol. 222v).↩
Regest