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SSRQ ZH NF II/3 110-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft. Band 3: Die Landvogtei Greifensee, by Rainer Hugener

Citation: SSRQ ZH NF II/3 110-1

License: CC BY-NC-SA

Bericht über einen Streit um die Rechte der Gemeinde Maur

1754 November 21. Maur

Die Kanzlei Greifensee berichtet, dass Landvogt Salomon Waser die Gemeinde Maur auf Befehl des Bürgermeisters Hans Kaspar Escher versammelt hat. Dort wird die Klageschrift von alt Säckelmeister Jakob Zollinger verlesen, die gemäss seiner eigenen Aussage von 70 Männern unterstützt wird. Sie beschuldigen den Gerichtsherrn, die Weibelgüter als Eigen zu usurpieren, widerrechtlich einen neuen Säckelmeister eingesetzt und in seinem neuen Buch die Bussen erhöht zu haben. Als die Gemeinde verlangt, dass der Gerichtsherr ihren Gemeindebrief vorliest, antwortet dieser, dass er von keinem Gemeindebrief wisse. Vielleicht verstünden sie darunter seinen Freiheitsbrief, der aber kein Gemeindebrief sei, oder den Einzugsbrief. Bei Bedarf könne er ihnen aber einen Freiheitsbrief ausstellen. Darauf werden der Gemeinde folgende auf der Burg Maur liegende Schriftstücke vorgelesen: der Freiheitsbrief von 1604, der Einzugsbrief von 1629, die Bussenordnung von 1646, ein Ratsentscheid von 1655 betreffend Einzugsgeld des Gerichtsherrn, die Flurordnung von 1696 sowie ein Urteil betreffend Einzugsgeld von 1716. Die Gemeinde beteuert, von diesen Dokumenten noch nie etwas gehört zu haben, worauf der Gerichtsherr entgegnet, er könne aus den Rechnungen beweisen, dass seine Vorgänger und er ihnen die Briefe vorgelesen hätten. Sodann wird das Begehren des Gerichtsherrn vorgelesen: Er und seine Amtsträger, der Vogt, der Weibel und der Säckelmeister, streben keinen Prozess an, sondern möchten lediglich, dass man sie und die Gemeinde bei ihren verbrieften Rechten belasse, damit jeder das Seine in Holz und Feld behalten könne. Sollten andere jedoch prozessieren wollen, würde man die Obrigkeit um eine Untersuchung bitten, bei welcher die Klage und Antwort schriftlich einzureichen seien. Darauf wird alt Säckelmeister Zollinger eine Bedenkzeit von 14 Tagen gewährt.

  • Shelfmark: StAZH A 123.7, Nr. 257
  • Date of origin: 1754 November 21
  • Transmission: Aufzeichnung (Doppelblatt)
  • Substrate: Papier
  • Format h × w (cm): 21.5 × 32.0
  • Language: German
  • Scribe: Kanzlei Greifensee

Im Februar des Jahres 1754 war es zu einem Konflikt zwischen Säckelmeister Hans Jakob ZollingerPerson: sowie dem Gerichtsherrn David HerrlibergerPerson: gekommen, weil sich der Säckelmeister und andere Leute weigerten, für ihre Hausleute den Einzug zu bezahlen (StAZH A 99.3, Nr. 142). Während sich der Gerichtsherr auf Präjudizien im Gemeindebuch berief (StAZH F II b 125), argumentierte der Säckelmeister, der Gerichtsherr könne in dieses Buch schreiben, was er wolle. Der Gerichtsherr berief daraufhin eine Gemeindeversammlung ein, auf der das Vorgefallene behandelt und eine neue Ordnung für das Säckelmeisteramt aufgestellt wurde. Diese betonte die Gehorsamspflicht gegenüber dem Gerichtsherrn und die Verbindlichkeit des Gemeindebuchs. Zum neuen Säckelmeister wurde Heinrich KrauterPerson: gewählt, womit ZollingerPerson: seines Amts enthoben war (Schmid 1963, S. 202, S. 226-228). Diese Abwahl wurde zum Ausgangspunkt für den im vorliegenden Stück behandelten Konflikt, denn in der Folge scharte ZollingerPerson: rund 70 Männer um sich, die mit ihm zusammen ihre Unzufriedenheit mit dem Gerichtsherrn und der Einsetzung eines neuen Säckelmeisters zum Ausdruck brachten. Ein dem Stück beiligendes Verzeichnis zählt die Namen aller Männer aus MaurPlace: , HellPlace: , GuldenenPlace: , LoorenPlace: und StuhlenPlace: auf, die gemäss den Angaben von Hans Jakob ZollingerPerson: an den unerlaubten Gemeindeversammlungen teilgenommen haben (StAZH A 123.7, Nr. 256).

Als nach Ablauf der zweiwöchigen Bedenkzeit, die man ZollingerPerson: und seinen Gesinnungsgenossen gewährt hatte, keine Antwort erfolgte, wandte sich HerrlibergerPerson: im Februar 1755 an den Zürcher RatOrganisation: , um ZollingerPerson: zur Anerkennung der fraglichen Schriftstücke zu bewegen (StAZH A 123.7, Nr. 266). Der Rat setzte am 23. April 1755 eine Kommission ein, die den Gemeinde- oder Freiheitsbrief untersuchen sowie den alt Säckelmeister ZollingerPerson: und seine Gesinnungsgenossen verhören sollte (StAZH A 123.7, Nr. 263). Am 8. August 1755 erstattete der Landvogt von Greifensee, Salomon WaserPerson: , Bericht über den Konflikt. Er habe ZollingerPerson: einbestellt, ihn sowie seine Anhänger mit einer Busse belegt und ihnen verboten, weitere Versammlungen durchzuführen. Die Leute hätten sich jedoch nicht daran gehalten und an ihrer nächsten Gemeindeversammlung den Landschreiber Hans Jakob ZureichPerson: als Vertreter des Landvogts bedroht und übel beschimpft. Das Schreiben endet mit der Warnung, dass man solche aufrührerischen Tendenzen unterbinden müsse, weil sonst niemand mehr die Obrigkeit respektieren würde und die Amtsträger ihres Lebens nicht mehr sicher wären (StAZH A 123.7, Nr. 265).

Die Kommission, die im April eingesetzt worden war, griff diesen Bericht auf und befragte am 21. August 1755 die Rädelsführer, neben alt Säckelmeister ZollingerPerson: auch dessen Vater Hans Jakob ZollingerPerson: sowie Heinrich StauberPerson: aus StuhlenPlace: . Diese lenkten nun zwar teilweise ein und zeigten sich bereit, den fraglichen Einzug zu bezahlen, wenn dies auch alle anderen täten. In wesentlichen Punkten beharrten sie jedoch auf ihren Argumenten und stellten sogar in Frage, ob die vom Landvogt ausgestellten Schriftstücke die gleiche Rechtskraft hätten wie jene mit dem grossen Siegel des Zürcher RatsOrganisation: (StAZH A 123.7, Nr. 264). Der Ausgang dieses Konflikts ist leider nicht dokumentiert. Offenbar liess es die Obrigkeit dabei bewenden, die Bevölkerung von MaurPlace: zu ermahnen, «daß sich hinkömfftig mänigklich gegen den grichtsherrn als ihrem natürlichen oberherren respectuos und gehorsam erzeigen sollen» (Schmid 1963, S. 228). Nichtsdestotrotz bezeugen die erhaltenen Dokumente, dass sich das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertanen zu wandeln begann und ein neues Zeitalter anbrechen sollte.

Edition Text

Kurzer entwurff von der den 21 novembris 1754Date: 21.11.1754 gehaltner gemeind zu MaurPlace: Organisation:

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In der aus befehl ihro gnaden herren amts burgermeister EschersPerson: gesammleten gemeind zu MaurPlace: Organisation: hat auf gemachten vortrag herrIn the original: hh landvogt WasersPerson: 1 alt seckelmeister HansIn the original: Hs Jacob ZollingerPerson: mit verdeüt- und anzeigung, er habe 70 männer auf seiner seiten, ihre klägten schrifftlich eingelegt und vorlesen lasen, die ohngefahr darinn bestehen, daß der herrIn the original: hr grichtsherr die so genanntenIn the original: gent weibelgüter für eigen prætendiern, wider recht einen neüwen seckelmeister gemacht und in seinem neüwen buch die bueßen verstärckeret habe. Darauf die gmeind angebracht, herrIn the original: hr grichtsherr soll ihnen ihren gmeindbrieff vorlesen, auch müller HansIn the original: Hs Rudolff ZollingerPerson: gesagt hat, es sey ein gmeindbrieff da gewesen, er mög seyn, wo er wolle. HerrIn the original: H grichtsherr aber gesagt, er wüße von keinem gmeindbrieff, vielicht verstehind sie das durch seinen freyheitsbrieff, so aber kein gmeindbrieff, oder den einzugbrieff etcAbbreviation. Die sie aber gar nicht dardurch verstehen wollen, sonder lediglich einen gmeindbrieff begehrt, in welchem ihre freyheiten ausgesezt. Von solch einem aber herrIn the original: h grichtsherr gar nichts wüßen will, ihnen aber ein freyheitsbrieff wolte machen können.

Nachdem ihnen also folgende auf der burg MaurPlace: ligende brieffschafften:

1. meiner gnädigen herrenIn the original: mngh freyheitsbrieff von anno 1604Date: 1604,2

2. meiner gnädigen herrenIn the original: mngh der gmeind ertheilte einzugbrieff von anno 1629Date: 1629,3

3. verglich der gmeind MaurPlace: Organisation: wegen ihrer hölzeren, anno 1646Date: 1646,4

4. erkantnuß meiner gnädigen herrenIn the original: mngh, daß ein grichtsherr der gmeind kein einzug schuldig, anno 1655Date: 1655,5

5. spruchbrieff zwüschent den gmeindsgenosen einerIn the original: e ehrsamen gmeind MaurPlace: Organisation: , anno 1696Date: 1696,6

6. spruch-brieff zwüschent den gmeindsgenoßen einerIn the original: e ehrsamen gmeind MaurPlace: Organisation: anbetreffende den einzug, anno 1716Date: 1716,7

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auf ihr begehren vorgelesen worden, haben sie darüber in antwort ertheilt, habind diesere brieff niemahl gehört lesen. Dargegen herrIn the original: hr grichtsherr gesagt, er wolle ihnen aus den gemeindrechnungen beweisen, daß solche von vorigen herren grichtsherren und auch von ihme der gmeind vorgelesen worden, worauf endtlich auch herrIn the original: hr grichtsherr sein begehren der gmeind vorlesen laßen, also lautende:

Der herrIn the original: hr grichtsherr, vogt, weibel und seckelmeister haben das geringste nicht zu processieren, sonder verlangen lediglich nichts anders, als daß sie und ganze gmeind bey habenden brieff und siglen, auch schrifften der vorigen herrenIn the original: h grichtsherren, gmeindschlüß und erkantnußen seyn und geschüzt, mithin laut diesen brieff und siglen einem jeden das seinig in holz und feld sicher und ohnbeschädiget verbleiben möchte. Wann sich aber andere darwider sezen, nicht verstehen oder verglichen und kösten haben wollen (maßen diesfahls das gmeindgut nicht angegriffen werden soll), so bittet man meine gnädigen herrenIn the original: mngh um ein gnädige untersuchung, mithin dem gegentheil und kläger aufgetragen werden möchte, daß er all seine vermeinende klägten zu papyr bringen laße, welches dann auch solle von dem herrenIn the original: h grichtsherren und mithafften schrifftlich beantwortet werden, damit man eigentlich wüßen möge, worinn klag und antwort bestehe und das befinden desto beser untersucht werden könne.

Wie nun der gmeind obangeregte brieff, auch des herrnIn the original: hr grichtsherren begehren vorgelesen worden, hat alt seckelmeisterIn the original: mstr ZollingerPerson: mit seinen 70 männeren über die 4 letsteren brieff ein 14 tägigenDuration: 14 days verdanck begehrt, der ihnen auch bewilliget und die sachen wol zu überlegen insinuiert worden.

Actum MaurPlace of origin: , donstags den 21 novembris 1754Date of origin: 21.11.1754, præsentibusIn the original: præsentbs herr landvogt WaserPerson: und beamtete.

[Signature:] Canzley GreiffenseePlace: Organisation:
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Notes

    1. Salomon WaserPerson: (im Amt 1754-1760, vgl. Dütsch 1994, S. 112).
    2. Gemeint ist die Aufzeichnung der Rechte der Gerichtsherrschaft MaurPlace: aus dem Jahr 1604 (SSRQ ZH NF II/3 91-1).
    3. Gemeint ist der Einzugsbrief der Gemeinde MaurPlace: Organisation: vom 26. November 1629 (ERKGA Maur I A 11).
    4. Gemeint ist die Bestätigung der Bussenordnung der Gemeinde MaurPlace: Organisation: betreffend Holzfrevel vom 12. Januar 1646 (ERKGA Maur I A 17).
    5. Gemeint ist ein Ratsentscheid betreffend Einzugsgeld des Gerichtsherrn von MaurPlace: vom 2. April 1655 (StAZH B II 490, S. 45-46).
    6. Gemeint ist die Flurordnung der Gemeinde MaurPlace: Organisation: vom 22. September 1696 (ERKGA Maur I B 7).
    7. Gemeint ist ein Urteil betreffend Einzugsgeld der Gemeinde MaurPlace: Organisation: von 1716 (ZGA Maur II A 8).