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SSRQ ZH NF I/2/1 42-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Zweite Reihe: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur. Band 1: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur I, by Bettina Fürderer

Citation: SSRQ ZH NF I/2/1 42-1

License: CC BY-NC-SA

Klageschrift der Stadt Winterthur gegenüber dem Herzog von Österreich

1411.

Schultheiss und Rat von Winterthur legen dem Herzog von Österreich ihre Klagen dar: Graf Wilhelm von Montfort-Bregenz hat von König Ruprecht die Befreiung von auswärtigen Gerichten, darunter auch von dem Landgericht Thurgau, erworben. Als sich die Winterthurer weigerten, dieses Privileg zu bestätigen, hat er ihnen gedroht, falls sie gerichtlich gegen seine Untertanen vorgehen sollten. Daher konnten bis zum Tod des Königs keine Gerichtsverfahren stattfinden. Die Winterthurer befürchten nun, dass der neue König das Privileg zum Nachteil des Herzogs, des Landgerichts und der Stadt bestätigen werde, falls er nichts dagegen unternehme (1). Seither sind die Beziehungen zum Grafen belastet. Er hat veranlasst, dass viele Ausbürger der Stadt ihren Pflichten nicht mehr nachkommen (2). Der Graf hat mehrere Ausbürger mit Beschlag belegt und eine gerichtliche Klärung abgelehnt (3). Er hat einen Bürger gefangen genommen, verweigert ein Gerichtsverfahren vor dem Landvogt, den Räten, den Städten oder der Ritterschaft des Herzogs und besteht auf ein Verfahren vor seinem Gericht (4). Innerhalb des städtischen Friedkreises ist eine Erbschaft angefallen, die ein Eigenmann des Grafen für seine Frau beansprucht, die in Winterthur ansässig ist. Graf Wilhelm hat die Erbschaft beschlagnahmt und fordert entgegen üblicher Praxis ein Verfahren vor seinem Richter (5). Graf Hugo von Montfort, Komtur von Bubikon und Tobel, hat trotz der städtischen Freiheiten und der Intervention des Landvogts Winterthurer Bürger mit geistlichem Gericht verfolgt (6). Die Brücke über die Thur bei Andelfingen, welche die Familie von Landenberg-Hohenlandenberg von dem Herzog als Pfand besitzt, ist zum Schaden des ganzen Landes seit Jahren baufällig. Die Winterthurer befürchten daher, von Schaffhausen und anderen jenseits der Thur keine Hilfe in Notsituationen erhalten zu können (7). Die Winterthurer sind in grosser Sorge wegen des Grafen Friedrich von Toggenburg, möchten Details aber nur mündlich erläutern (8). Ulrich, Sohn Walters von Klingen, hat dem Bürger Ulrich Eigental gewaltsam und ohne Gerichtsverfahren Vieh im Wert von über 100 Pfund Pfennigen genommen (9). Die Städte des Herzogs haben sich zusammengeschlossen, um sich und das Land zu schützen. Die Winterthurer fürchten um die Sicherheit von Städten, Land und Leuten, wenn der Herzog nicht eingreifen würde (10). Die Winterthurer bitten ihn um Hilfe.

Die Position der HabsburgerOrganisation: in den VorlandenPlace: war infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den AppenzellernOrganisation: geschwächt worden, vgl. Niederhäuser 2006b, S. 37; Stettler 1988, S. 27*-82*. Da sie sich durch die Herrschaft nicht mehr ausreichend geschützt sahen, schlossen die WinterthurerOrganisation: im Jahr 1407 einen Burgrechtsvertrag mit ZürichPlace: , mussten ihn jedoch auf Druck des Stadtherrn wieder aufkündigen (SSRQ ZH NF I/2/1 40-1). Am 10. Januar 1410 vereinbarten SchaffhausenPlace: , WinterthurPlace: und eine Reihe weiterer habsburgischerOrganisation: Städte in den Landvogteien AargauPlace: und ThurgauPlace: , am HochrheinPlace: und im SchwarzwaldPlace: sowie Graf Otto von ThiersteinPerson: und niederadlige Gefolgsleute ein Bündnis zur Abwehr der Angriffe auf Städte, Land und Untertanen der Herzöge von ÖsterreichOrganisation: . Am 11. Februar bestätigte deren Landvogt das Abkommen (Thommen, Urkunden, Bd. 2, Nr. 685, 687).

In dieser Situation lud Herzog Friedrich von ÖsterreichPerson: Vertreter seiner Städte auf den 18. Juni 1411 nach BadenPlace: ein. Dort wollte er ihre Anliegen anhören und Massnahmen zu ihrer Befriedung treffen (UB Freiburg, Bd. 2, Nr. 450). Überliefert sind die Eingaben mehrerer Städte, darunter auch WinterthurPlace: , die zu einem Rodel zusammengeheftet wurden. Zu den Hintergründen der Aufnahme und Sammlung der Beschwerden vgl. Hodel 2009, S. 42-49, 94-97. Vermutlich gelangten die Schriftstücke infolge der Eroberung der Feste SteinPlace: in BadenPlace: aus dem dortigen Archiv in den Besitz ZürichsPlace: , vgl. Hodel 2009, S. 100.

Die von den WinterthurernOrganisation: vorgebrachten Missstände betreffen vor allem Fragen des Gerichtsstands. Gestützt auf das kodifizierte Stadtrecht (SSRQ ZH NF I/2/1 5-1, Artikel 2; SSRQ ZH NF I/2/1 7-1, Teil II, Artikel 4) und königliche Privilegien (SSRQ ZH NF I/2/1 29-1), bestritten sie die Rechtmässigkeit der Ladungen von Bürgern und Bürgerinnen vor auswärtige Gerichte. Andererseits konnte sich oft auch die gegnerische Seite auf Evokationsprivilegien berufen. Die geschilderten Attacken des Grafen Wilhelm von Montfort-BregenzPerson: richteten sich vermutlich gegen die Aufnahme seiner niederadeligen Vasallen und Dienstleute ins städtische Bürgerrecht.

Edition Text


Hochgeborner, durchlu̍chtiger fu̍rst und allergnedigoster herr, wir bringent mit
klag fu̍r u̍wer gnad disi nachgeschribnen stukk:

Des ersten, alz graff Wilhelm von BregentzPerson: ein friheit von ku̍ng RuͦprehtaenPerson: saͤlgen
erworben hatt, dar mit daz lantgericht in TurgoͤwPlace: Organisation: nidergeleit wart,1 alz wir daz u̍wern
gnaden vormalz verschriben und fu̍rbraht haben. Do wir im dieselben friheit nit
bestaͤten und confirmieren weltent, do hett er vast troͤwlich gerett und gesprochen,
sye, daz wir u̍ber die sinen u̍ber die fryheit richtint, so syent wir von im nit sicher.
Und also beliben wir jar und tag ungericht, untz daz der ku̍ng von todes wegen abgieng, und fu̍rchtent, waͤr, ob es u̍wer gnad nit verhuͦti und understandi, daz im denn
dieselb sin erworben friheit jetz von u̍nserm herren, dem ku̍ng, moͤht bestaͤtt werden
und daz u̍wern gnaden, dem lantgericht und u̍ns merer kumber dar von moͤhti uff
stân und die sach alz hert werden moͤht alz vor.

Item von der sach wegen dunkt u̍ns, daz u̍ns graff WilhelmPerson: sidmalz ungnaͤdiger sye denn vormalz. Und hett u̍ns den merteil u̍nser ussburger, die und ir vordern doch von altem
u̍nser burger gewesen sint und u̍ns mit iren stu̍ren ettlich dienst getân hânt, abgetrengt
und von u̍ns erzwungen, daz si u̍ns keinen dienst nit mer tuͦnt, enweder mit lib noch guͦt.

Item er hett ettlich u̍nser ussburger ân alles recht gar schwarlich geschaͤtzt und wolt
sich keines rechten vonAddition above the lineb inen nit lassen benuͤgen noch nemen.

Item er veht einen u̍nser ingesessnen burger und wil in nit sicher sagen uff recht,
daz wir im doch gebotten hânt fu̍r u̍nsern herren, den lantvogt, fu̍r u̍wer raͤtt, fu̍r u̍wer
stett, fu̍r die ritterschaft. Und meint nit anders, denn daz wir im denselben u̍nsern burger
ze dem recht stellint uff dem land vor sinem gericht, oder er welli in vehen.

Item es ist ein erb under u̍nsern burgern in u̍nserm fridkreis gevallen, dar zuͦ graff WilhelmsPerson:
eiUncertain readingcgen man einer spricht von sins wibs wegen, d–
die och hie
in u̍nser statt
gesessen ist
Addition on the left margin by insertion mark
–d. Da hett graff WilhelmPerson: dasselb erb,
waz des uff dem land gelegen ist, verleit, und meint u̍ns dar zuͦ ze trengent, daz man
dasselb erb vor sinemCorrection overwritten, replaces: ne richter uff dem land berechtint, daz doch wider u̍nser statt
friheit und recht ist. Wan waz erbes in u̍nser statt gevallet, daz ist och allweg untz
har in u̍nser statt und niendert anderschwa berechtot.

Item graff Hug von MontfortPerson: , comentur ze BuͦbikonPlace: und ze TobelPlace: , der hett u̍ns und u̍nsren burgern
ettlichen schwarlichen trang lange zit getân mit roͤmschenOrganisation: gerichten f umb
soͤlich sachen, die wider u̍nser statt friheit, recht und gewonheit sint und anders,
denn u̍ns vormalz je geschehen sye, dar u̍ber daz im doch u̍nser herr, der lantvogt, dar umb
ettwe dik geschriben hât.

Item alz die von Landenberg von der HohenlandenbergOrganisation: den pfantschatz ze AndelfingenPlace: von u̍wern
gnaden hânt,2 da allweg ein brugg u̍ber die ThurPlace: gangen ist, dar an och besunder
nu̍tz dienent, dieselb brugg u̍ch und gemeinem land und och u̍ns dienot und
notturftig waͤri. Dieselb brugg, die ist zergangen und ettwe vil jaren zerbrochen
gesin, dar von wir und daz land grossen schaden enpfahent. Und muͤssent fu̍rhten,
waͤr, ob es u̍ns not taͤtti, daz u̍ns denn die von SchauffhusenPlace: und ander, die ennend der
TurPlace: gesessen sint, nit ze helf komen moͤhtint.

Item u̍ns lit grosser, schwarer kumber und sorg von graff Fridrichs von ToggenburgPerson: wegen an,
die wir mit geschrift nit wol erzellen kunnent, wan daz u̍ns notturftig waͤr, daz
mit worten fu̍r u̍wer gnad zebringen.

Verte
Addition on the bottom
g
[fol. v]Page break

Item junkherr Uͦlrich von KlinggenPerson: , junkherr WalthersPerson: sun, der hett u̍nserm burger Uͦlrichen
Eigendal
Person:
mit gewalt und ân recht genomen mer denn hundert pfund ₰Currency: 100 lb wertAddition above the lineh vehs i.

Item alz sich u̍wer stett einer fru̍ntschaft mit enander vereint hânt durch ir selbs und u̍wers landes
schiermes willen, dar umb daz si u̍wer hilf und gnaden dester baz dar bi erbieten moͤhtint,3
fu̍rhten und entzitzen wir, daz wir und anderAddition above the linej u̍wer stett, land und lu̍t dar mit nit alz wol
versorget syen, wan daz notturftig sye, daz u̍wer gnad fu̍ro dar zuͦ sehe und gedenke, daz
ze versorgent.

Gnediger herr, da bitten wir u̍wer fu̍rstlich gnad mit allem ernst, so wir vermugent,
daz ir u̍ns in disen vorgeschriben stukken und in andren stukken, so u̍nser botten fu̍r
u̍wer gnad bringen werdent, gnedklich bedenken und u̍ns dar inne ze statten komen,
beholfen und beraten sin geruͦchent nach u̍wern grossen gnaden und nach u̍nser notturft.

U̍wer gnaden schulthsschultheis und
rât in u̍wer statt WinterthurPlace:
Organisation:

Notes

  1. Deletion: t.
  2. Addition above the line.
  3. Uncertain reading.
  4. Addition on the left margin by insertion mark.
  5. Correction overwritten, replaces: n.
  6. Deletion: und.
  7. Addition on the bottom.
  8. Addition above the line.
  9. Deletion: wegen.
  10. Addition above the line.
  1. König RuprechtPerson: (1400-1410) befreite am 6. März 1409 den Grafen Wilhelm von MontfortPerson: , Herrn von BregenzPlace: , und seine Untertanen von fremden Gerichten mit Ausnahme der königlichen Hofgerichte (RI X/2, Nr. 5736). Die WinterthurerOrganisation: hatten eine Abschrift der Urkunde erhalten (STAW URK 443).
  2. Die niederadelige Familie war seit 1377 im Pfandbesitz von AndelfingenPlace: (StAZH C I, Nr. 2566; Regest: URStAZH, Bd. 2, Nr. 2511).
  3. Bündnis von habsburgischenOrganisation: Städten und Gefolgsleuten vom 10. Januar 1410 (Thommen, Urkunden, Bd. 2, Nr. 685).