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SSRQ ZH NF I/2/1 70-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Zweite Reihe: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur. Band 1: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur I, by Bettina Fürderer

Citation: SSRQ ZH NF I/2/1 70-1

License: CC BY-NC-SA

Urfehde des einstigen Wächters der Stadt Winterthur Hans Rickenbach wegen Verletzung seiner Dienstpflicht

1439 February 4.

Der Schultheiss von Winterthur Heinrich Zingg beurkundet die Urfehde des Hans Rickenbach nach Entlassung aus der Haft. Er hatte als vereidigter Wächter auf dem Kirchturm mit den Glocken mehr Lohn erhalten als die Wächter auf den anderen Türmen und dennoch im Dienst geschlafen und die Rufe der anderen Wächter und der Leute nicht wahrgenommen, als ein Feuer in der Nähe ausbrach. Für diese Pflichtverletzung hätte er die Todesstrafe verdient, doch wurde ihm das Verfahren vor Gericht erlassen. Rickenbach verpflichtet sich, Konflikte mit Bürgerinnen und Bürgern von Winterthur durch Bevollmächtigte in Winterthur respektive Differenzen mit der Stadt vor Bürgermeister und Rat von Konstanz, Zürich oder Schaffhausen gerichtlich auszutragen. Er wird aus der Stadt verwiesen und darf sich ihr bis auf zwei Meilen nicht nähern. Missachtet er eine dieser Auflagen, soll man ihn hinrichten. Er verzichtet auf alle Rechtsmittel. Es siegeln der Aussteller und Ritter Hermann von Landenberg von Werdegg im Namen Rickenbachs.

  • Shelfmark: STAW URK 780
  • Date of origin: 1439 February 4
  • Transmission: Original
  • Substrate: Pergament
  • Format h × w (cm): 34.0 × 21.0
  • 2 seals:
    1. Schultheiss Heinrich ZinggPerson: , wax, round, sealed on a parchment tag, polished
    2. Hermann von Landenberg von WerdeggPerson: , wax, round, sealed on a parchment tag, well-preserved
  • Language: German

Mit dem abendlichen Läuten der Betglocke begann der Dienst der Turmwächter, einer wachte vor, der andere nach Mitternacht (SSRQ ZH NF I/2/1 268-1). Sie durften ohne Erlaubnis des Schultheissen ihren Posten nicht verlassen, gaben das Signal für den Anbruch des Abends, der Nacht und des Morgens und meldeten die Stunden. Brach Feuer in der Stadt aus, mussten sie Alarm läuten, bemerkten sie einen Brand ausserhalb der Stadt, ins Horn blasen. Verdächtiges sollten sie unverzüglich dem Schultheissen durch die in den Gassen patrouillierenden Scharwächter melden lassen (SSRQ ZH NF I/2/1 223-1). Diese wurden durch die Turmwächter beaufsichtigt (STAW B 2/3, S. 479) und mussten auf ein bestimmtes Hornsignal hin zu ihnen kommen (STAW B 2/7, S. 45). Im Sommer hatten die Turmwächter besonders auf nächtliche Gewitter zu achten (STAW B 2/6, S. 122). 1507 erhielt ein Turmwächter 47 Pfund Lohn (STAW B 2/6, S. 255).

Angesichts der verantwortungsvollen Aufgabe wurde Pflichtversäumnis streng bestaft. Ein ähnlicher Fall scheint sich im Januar 1473 ereignet zu haben, als ein Turmwächter einen Urfehdeeid leisten musste und am gleichen Tag sein Nachfolger eingesetzt und vereidigt wurde (STAW B 2/3, S. 183). Auch Scharwächter erlaubten sich offenbar Nachlässigkeiten im Dienst, so wurde ihnen im Jahr 1472 untersagt, Lichtstuben oder Trinkstuben aufzusuchen (STAW B 2/3, S. 154; ebenso 1482: STAW B 2/3, S. 479), und 1486 verboten, sich ohne Erlaubnis des Schultheissen vertreten zu lassen (STAW B 2/5, S. 162). Die Eidformel der Scharwächter in einem Eidbuch der Stadt WinterthurPlace: aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert verpflichtete diese, die erste Stunde nach Mitternacht pünktlich nach dem Glockenschlag um ein Uhr auszurufen, nicht erst eine halbe Stunde später (STAW B 3a/10, S. 43-44).

Edition Text


Ich, Heinrich ZinggPerson: , schultheis ze WintterthurPlace: , vergich offenlich und tuͦn kunt allermengklichem mit disem
brieff, das Hans RikenbachPerson: von WintterthurPlace: vor mir unbetwungenlich geoffnott und verjechen haͧt, als er gemeiner
statt WintterthurPlace: gesworner wachter gewesen sye uff irem kilchturn und by iren gloggen und also dar uff gesworn
habe ze wachen mit uffgehabter hand liblich zuͦ gott und den heilgen, und oͧch dieselb wacht besunder under andren
dingen also angesechon sye zuͦ dem fu̍r war ze nemen, und oͧch er dar umb groͤssern sold enpfangen hab denn ander wachter
uff ander tu̍rnen, und aber da grosser schad von fu̍rs nott beschechen und nit verr von dem kilchturn gewesen, dar umb
oͧch ein gross geschrey von andern wachtern und lu̍ten gewesen sye, daz er aber nit gemaͤldet und deheinen weg versechen,
sunder geschlaffen und deheins geschreigs geachtott noch war genomen. Dar umb er eid und er u̍bersechen und sich verschuldt hab, daz er mit sinem leben nit gepessren moͤcht und billich verschuldt hette, und in oͧch die von WintterthurPlace: dar umb und
von soͤlicher sachen in vangnu̍st gehebt hetten. Und dar umb, daz er sich des nit in recht stellen muͤsse und in die von WintterthurPlace: dar umb gnaͤdeklich angesechen haben, luterlich durch gottes und durch siner bett willen, so welli er sich diser naͧchgeschriben
stuken luter begeben und daz sweren.
Und swuͦr oͧch do zestett derselb Hans RikenbachPerson: einen eid mit uffgehabter hand liblich
zuͦ gott und zuͦ den heilgen des ersten ein gantz urfech, und daz er noch nieman von sinen wegen die sach und vangnu̍s niemer geaͤffron und namlich die von WintterthurPlace: noch die iren dar umb noch umb deheinerley sach niemer beku̍mbren, ansprechen noch beschadgen soͤllen. Denn ob daz waͤr, daz er jetz ald in ku̍nfftigen ziten zuͦ deheinem burger ald burgerinen ze WintterthurPlace: , inwendig als usswendig sesshafftig, umb deheinerley sach icht zesprechen hette ald gewunne, da sol er durch sin botten ze WintterthurPlace: in der statt
recht suͦchen und nemen und by erkantnu̍s des rechten beliben. Hette oder gewunne er oͧch mit gemeiner statt WintterthurPlace: icht
zeschaffen ald zesprechen, sol er sich mit recht benuͤgen laͧssen in der dryerAmount: 3 stett einer, CostentzPlace: Organisation: , Zu̍richPlace: Organisation: oder SchaͧffhusenPlace: , burgermeister und raͤtenOrganisation: und nit wyter suͦchen noch beku̍mbren in deheinen weg, by sinem geswornen eid. Und sol oͧch also by demselben
sinen geswornen eid gaͧn und komen zwo milLength: 2 miles wegs von WintterthurPlace: , an welhes end er wil, und naͤcher zuͦ WintterthurPlace: noch gen
WintterthurPlace: niemermer komen, aͧn alle gnad.1
Und ob daz waͤr, daz er dehein sach oder dehein stuk, puncten, meynung ald artikel, als
obstaͧt, jemer u̍berfuͦr und den eid nit luter hielte, da vor gott sye, daz er denn zestett meyntaͤtig, rechtloß und verschuldt heissen
und sin, also daz man zuͦ sinem lib und leben, wo er begriffen wirtt, richten sol und mag, mit welhem tod man wil, als u̍ber einen
verteilten, verschuldten, rechtlosen man. Da vor in nit schiermen sol der herren, der stetten noch des landes recht, dehein gericht noch dehein fryheit, gnad noch recht, so jemant haͧt ald gewint, wan er sich des alles entzigen haͧt.
Des alles ze warem
urku̍nd, so hab ich, egenegenanter schultheis, min insigel, so ich bruch von des gerichtz wegen, offenlich gehenkt an disen brieff. Ich, der
egenegenant Hans RikenbachPerson: , vergich einer warheit aller vorgeschriben dingen. Und zuͦ merer gezu̍gnu̍s, so hab ich erbetten den
fromen, vesten ritter, her Herman von Landenberg von WerdeggPerson: , minen gnedigen herren, daz er oͧch sin insigel, mich ze u̍bersagen, offenlich gehenkt haͧt an disen brief, daz oͧch ich, derselb von LandenbergPerson: , also getaͧn hab von siner bett wegen, doch mir und minen erben aͧn
schaden.
Geben uff mittwochon naͧch u̍nser lieben frowen tag zuͦ der liechtmiss, naͧch Cristz gepu̍rt vierzechenhundert jaͧr, drissig jaͧr, dar
naͧch in dem nu̍nden jaͧr
Date of origin: 4.2.1439
etcAbbreviation.
[fol. v]Page break
[Dorsal notation on the reverse side:]
RikenbachPerson: , wachter
[Dorsal notation on the reverse side in a hand of the 18th century:]
Urfehd Hans RikenbachPerson: zu WinterthurPlace: ,
der in gefangenschafft geworfen worden,
weil er als hochwächter einen brand nicht
wahrgenommen, sonder geschlaffen,
a anno 1439Date: 4.2.1439

Notes

  1. Addition inline in a hand of the 19th century: 4 HornHornung.
  1. Zur Praxis, Delinquenten einen Strafgerichtsprozess zu erlassen und sie stattdessen auszuweisen, vgl. den Kommentar zu SSRQ ZH NF I/2/1 73-1.