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SSRQ ZH NF I/2/1 1-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Zweite Reihe: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur. Band 1: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur I, by Bettina Fürderer

Citation: SSRQ ZH NF I/2/1 1-1

License: CC BY-NC-SA

Vergleich zwischen dem Leutpriester von Oberwinterthur und Graf Hartmann von Kyburg durch den Bischof von Konstanz im Konflikt um die Zugehörigkeit der Kirche in Winterthur

1180 August 22.

Bischof Berthold von Konstanz schlichtet den Konflikt zwischen den Leutpriestern der Pfarrkirche in Oberwinterthur und Graf Hartmann von Kyburg um Angehörige der Pfarrgemeinde und um die in Niederwinterthur gelegene Kirche. Die Leutpriester von Oberwinterthur hatten die Zugehörigkeit dieser Kirche zum Sprengel ihrer Pfarrkirche reklamiert. Der Graf hatte auf die lange Zeit bestehende Unabhängigkeit der Kirche hingewiesen. Um die rechtmässige Loslösung der Kirche zu erreichen, hat der Graf der Mutterkirche zwei Güter in Arlikon und Lindberg für sein Seelenheil und das seiner Vorfahren gestiftet. Die Übertragung erfolgte unter der Bedingung, dass alle Bauern auf den Huben und Schupposen, die von der Pfarrkirche in Oberwinterthur seelsorgerisch betreut wurden, weiterhin die Sakramente und Seelsorge von dem jetzigen Leutprieser Diethelm und seinen Nachfolgern erhalten. Hermann, der Pfarrverweser in Winterthur, soll die Kaufleute mit ihren Haushaltsangehörigen und die Bauern, die den Zehnten abliefern, seelsorgerisch betreuen, sodass keine Partei diese Bestimmungen verletzt. Der Leutpriester von Oberwinterthur soll die Ministerialen des Grafen nicht hindern, die Kirche in Winterthur als Begräbnisort zu wählen. Wenn angesichts der wachsenden Bevölkerung Wohnquartiere auf Ackerland und Wiesen angelegt werden, sollen die dort lebenden Kaufleute und Bauern der Mutterkirche zugehören. Der Aussteller siegelt. Als Zeugen fungierten Ortolf, Dekan, Hugo, Cellerar, die übrigen Kanoniker der Konstanzer Kirche sind einverstanden, die Laien Rudolf von Rapperswil, Heinrich von Wart, Diethelm von Schneckenburg und sein Verwandter Berthold, Albrecht von Bussnang, die Brüder Heinrich und Ulrich von Rossberg, Walter von Wädenswil, Heinrich von Weisslingen, die Ministerialen der Konstanzer Kirche Heinrich von Winterthur, sein Sohn Rudolf und sein Bruder Konrad, Rudolf von Andwil, Heinrich Statili, Heinrich Havenare, Hiltbold Havenare sowie die Ministerialen des Grafen Konrad Schad, Berthold Schenk, Konrad von Liebenberg, Ulrich von Wornhausen, Albert von Schlatt. Der Graf hat zudem die Hälfte des dritten Teils der Burg Weinfelden der Konstanzer Kirche übertragen und vom Bischof als Lehen erhalten.

  • Shelfmark: STAW URK 1
  • Date of origin: 1180 August 22
  • Transmission: Original (A 1)
  • Substrate: Pergament
  • Format h × w (cm): 39.5 × 31.5 (Plica: 4.5 cm)
  • 1 seal:
    1. Bischof Berthold von KonstanzPerson: , wax, oval, sealed on a cord, damaged
  • Language: Latin
  • Edition
    • UBTG, Bd. 2, Nr. 58
    • UBZH, Bd. 1, Nr. 336, mit Nachträgen in UBZH, Bd. 12, S. 326, und UBZH, Bd. 13, S. 246
    • Bader 1854, S. 123-125
    • Gfr. 9, S. 197-198
    Regest
    • RSQ, Abt. 1, Bd. 1, Nr. 99
    • REC, Bd. 1, Nr. 1053

  • Shelfmark: LABW GLAK C Nr. 69
  • Date of origin: 1180 August 22
  • Transmission: Original (A 2)
  • Substrate: Pergament
  • Format h × w (cm): 43.5 × 29.0 (Plica: 3.5 cm)
  • 1 seal:
    1. Bischof Berthold von KonstanzPerson: , sealed on laces, missing
  • Language: Latin
  • Shelfmark: winbib Ms. Fol. 49, S. 533-535
  • Date of origin: 1629
  • Transmission: Übersetzung (nach A 1)
  • Substrate: Papier
  • Format h × w (cm): 21.0 × 32.5
  • Language: German
  • Shelfmark: winbib Ms. Fol. 27, S. 101-103
  • Date of origin: mid 18. c.
  • Transmission: Übersetzung (nach A 1)
  • Substrate: Papier
  • Format h × w (cm): 24.0 × 35.5
  • Language: German

Bereits in römischerPlace: Zeit befand sich an der Stelle des heutigen OberwinterthurPlace: eine Siedlung. In das 6. oder 7. Jahrhundert datiert der Bau der ersten Kirche aus Holz, der im 10. oder 11. Jahrhundert durch einen Steinbau ersetzt wurde. Im Bereich der WinterthurerPlace: Altstadt wurde im 6. Jahrhundert eine neue Siedlung angelegt. Bei archäologischen Grabungen in der Stadtkirche, die in den Jahren 1980 bis 1982 durchgeführt wurden, fand man Spuren eines hölzernen Vorgängerbaus aus dem 7. oder 8. Jahrhundert. Im 8. oder 9. Jahrhundert wurde die erste Kirche aus Stein errichtet, die weiter ausgebaut wurde und um das Jahr 1000 Pfarreifunktion besass, wie aus Überresten einer Taufanlage zu schliessen ist. Gleichzeitig begann man die Kirche als Grablege zu nutzen, was auf die Herausbildung eines Herrschaftszentrums hindeutet. Als Ausstellungsort von Urkunden und somit als Ort von Rechtshandlungen ist WinterthurPlace: seit dem 9. Jahrhundert belegt, wobei nicht geklärt ist, um welche der beiden Siedlungen es sich jeweils handelt. Einige Jahrzehnte vor der Ausstellung der vorliegenden Urkunde war die WinterthurerPlace: Kirche erweitert worden, so dass sie in ihren räumlichen Dimensionen die Kirche in OberwinterthurPlace: übertraf. Zu diesen Entwicklungen vgl. Windler 2014, S. 28-33, 38-45.

Durch den vorliegenden Urteilsspruch des Bischofs von KonstanzPlace: wurde der offenbar seit Jahren bestehende Konflikt um die rechtliche Stellung der Kirche in WinterthurPlace: zwischen dem Grafen Hartmann III. von KyburgPerson: und dem Leutpriester von OberwinterthurPlace: DiethelmPerson: und dessen Vorgängern beigelegt. Der Graf berief sich auf die lange bestehende Unabhängigkeit der Kirche, der Leutpriester reklamierte sie als Filiale der Pfarrkirche in OberwinterthurPlace: . Gegen eine Abfindung erlangte der Graf die Bestätigung der Selbstständigkeit der Kirche durch den zuständigen Diözesanbischof, der zugleich das Patronatsrecht über die Pfarrkirche von Oberwinterthur besass, vgl. Kläui 1968, S. 245-246. Der Prozess der Stadtwerdung WinterthursPlace: vollzog sich im ausgehenden 12. Jahrhundert nicht nur im kirchlichen Bereich. Handel und Handwerk hatten sich etabliert, vermutlich war bereits eine Befestigungsanlage in Form eines Grabens mit Wall vorhanden. Archäologische Befunde weisen auf eine verstärkte, mit Infrastrukturmassnahmen verbundene Bautätigkeit um 1200 hin, vgl. Windler 2014, S. 47-63.

Edition Text


In nomine sanctę et individuę trinitatis. Ego, BertoldusPerson: , dei gratia ConstantiensisPlace: episcopus. Quod facta inter priores pertractata ad sucessorum
noticiam fideliter perveniant, iuxta antiquam et salubrem sanctę matris ęcclesię consuetudinem, ut oblivionem dampnosam effugere valeant, scripturę firmamento
salubriter commendantur.
Notum sit igitur omnibus tam futuri quam presentis temporis bonę voluntatis hominibusAddition above the linea, qualiter inter plebanos ęcclesię in OberunwinterturePlace: et comitem
Hartmannum de Qwiburg
Person:
super parrochianis et capella1 in NiderunwinterturePlace: sita lis et controversia dudum agitabatur. Plebani capellam iam dictam infra limites
parrochię suę sitam iure matricis ęcclesię pro filia sibi vendicabant, comes capellę libertatem prescriptione longi temporis2 constanter defendebat. Talis controversia, quo ad tempora nostra perveniens, per nos auxilio et consilio dei omnipotentis et virorum discretorum salutifera ammonitione finem amicabili b transactione suscepit. Comes enim, ut capellę legitimam celebraret exemptionem, duoAmount: 2 prędia in ArlinchovenPlace: 3 et LimpergPlace: ipsi matrici ęcclesię in dotem ęcclesiasticam pro salute animę suę et remedium parentum suorum libere contradidit. Hęc autem traditio hoc pacto sub hac conditione facta est, quod universi coloni sive huͦbare vel scǒpazare, qui usque ad tempus transactionisAddition above the linec
sub cura ęcclesię parrochialis indubitanter fuerunt, ęcclesiastica sacramenta et omnem curam ęcclesiasticam a TiethelmoPerson: , tunc inibi plebano, et a suis successoribus perpetualiter reciperent.
HermannusPerson: autem, capellę provisor, mercatores cum sua familia et quosdam colonos, qui decimas intuitu dotis capellę sibi ab antiquo persolverunt, in sua cura possideret, ita quod
neutra pars nova aliqua invasione vel mutatione hęc statuta infringere presumeret. Si qui etiam ministerialium ipsius comitis sepulturam iuxta capellam eligeret, a plebano maioris ęcclesię non prohiberetur. Sin autem d excrescente inibi populo locus ille vel agrum vel pratum domorum mansionibus occupparet, sive mercatores sive coloni inibi habitantes matrici ęcclesię indubitanter pertinerent.4
Quod autem hęc nostra constitutio inconvulsa permaneat, hanc paginam conscribi et nostro sigillo signari fecimus. Facta sunt hęc
anno ab incarnatione domini millesimo co lxxxo, indictione xiiia, mense augusto, xi kalendas septembrisDate of origin: 22.8.1180, presidente sedi apostolicę sanctissimo papa AlexandroPerson: iiio,
regnante FridericoPerson: RomanorumOrganisation: imperatore semper augusto, duce SuevięPlace: FridericoPerson: .
Testes, qui viderunt et audiveruntText variant in LABW GLAK C Nr. 69: audierunte: OrtolfusPerson: , ConstantiensisPlace: ęcclesięOrganisation: decanus, HugoPerson: , cellerarius, Text variant in LABW GLAK C Nr. 69: etf cęteri canonici consenserunt, laici Rǒdolfus de RaprehtswillarePerson: , Hainricus de WartePerson: , Diethalmus de SneccemburgPerson: et cognatus suus BertoldusPerson: , Albertus de BussenanchPerson: , Hainricus de RossebergPerson: et ǑlricusPerson: , frater suus, Waltherus de WadinswillarePerson: , Hainricus de WizenanchPerson: 5, ministeriales ęcclesię Hainricus de WinterturePerson: et filius suus RǒdolfusPerson: et frater suus
ChǒnradusPerson: et Rǒdolfus de AnnenwillarePerson: 6 et Hainricus StatiliPerson: , Hainricus HavenarePerson: , Hiltebolt HavenarePerson: , ministerialis comitis Chǒnrat ScadePerson: , Bertoldus PincernaPerson: , Chǒnradus de LiebenbergPerson: , Ǒlricus de WurmenhusePerson: , Albertus de SlatePerson: .
Preterea comes dimidietatem tercię partis castri WinveldenPlace: sanctę MarięPerson: ConstantiensiPlace: contradidit et eandem in beneficium Text variant in LABW GLAK C Nr. 69: tameng a manu nostra suscepit.
[fol. v]Page break
[Dorsal notation on the reverse side in a hand of the 15th century?:] h–Vonn unser kilchen und der kilchen ze
OberwinterthurPlace: , wie die von einander
gezogen sint.
Damage through faded ink, uncertain reading
–h
[Dorsal notation on the reverse side in a hand of the 18th century:]
Vertragbrieff von BertoldoPerson: , bischoff
zuͦ CostantzPlace: , zwüschen graff Hartmann
von Kyburg
Person:
und den leutpriestern zuͦ
OberwinterthurPlace: betreffend die kirchen zuͦ
Ober-Place: und die capell zuͦ Nider WinterthurPlace:
und welche leuthe der erst oder letsteren
zuͦgehören sollen.
[Dorsal notation on the reverse side in a hand of the 18th century:] Anno 1180 i

Notes

  1. Addition above the line.
  2. Deletion by scraping, uncertain reading: tract.
  3. Addition above the line.
  4. Deletion by scraping: h.
  5. Text variant in LABW GLAK C Nr. 69: audierunt.
  6. Text variant in LABW GLAK C Nr. 69: et.
  7. Text variant in LABW GLAK C Nr. 69: tamen.
  8. Damage through faded ink, uncertain reading.
  9. Addition inline in a hand of the 19th century: 22 AugAugust.
  1. Illi 1993, S. 119-120 mit Anm. 510, weist darauf hin, dass die Bezeichnung «capella» nicht unbedingt auf den rechtlichen Status schliessen lasse, und schlägt die Interpretation «Eigenkirche» vor.
  2. Zu der römischenPlace: Rechtsfigur der Ersitzung vgl. Elsener 1981, S. 106.
  3. Abgegangener Ort ArlikonPlace: bei HegiPlace: , vgl. UBZH, Bd. 13, S. 246.
  4. Die Lösung der Vorstädte aus dem Sprengel der Pfarrkirche OberwinterthurPlace: und ihre Eingliederung in die Pfarrgemeinde WinterthurPlace: erfolgte im Jahr 1482 (SSRQ ZH NF I/2/1 123-1).
  5. Weisslingen, vgl. UBZH, Bd. 1, S. 408.
  6. AndwilPlace: , Gemeinde SulgenPlace: (ThurgauPlace: ), vgl. UBZH, Bd. 1, S. 371.