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SSRQ ZH NF I/1/11 104-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 11: Gedruckte Mandate für Stadt und/oder Landschaft Zürich, by Sandra Reisinger

Citation: SSRQ ZH NF I/1/11 104-1

License: CC BY-NC-SA

Verordnung der Stadt Zürich betreffend Amnestie für die am Stäfnerhandel beteiligten Personen

1798 January 29.

Bürgermeister sowie Grosser und Kleiner Rat der Stadt Zürich bewilligen aufgrund mehrfachen Wunsches der Angehörigen des Zürcher Stadtstaates sowie infolge der Aussagen der Ratsdeputationen die Amnestie für alle Personen, die aufgrund ihrer Beteiligung am Stäfnerhandel verurteilt worden sind. Dies bedeutet, dass die entsprechenden Personen aus ihrer Gefängnishaft entlassen werden oder ihre Verbannung aufgehoben wird und sie die bezahlten Geldbussen, ihre konfiszierten Güter sowie ihre Ehre zurückerhalten. Der Gemeinde Stäfa werden zudem die Waffen zurückgegeben. Ausserdem darf niemand eine amnestierte Person mit Worten oder Taten bestrafen. Zur Förderung der Eintracht zwischen der Stadt und der Landschaft, erhalten alle Gemeinden auf Verlangen die Urkunden der Waldmannschen Spruchbriefe und des Kappelerbriefes im Original oder in vidimierter Abschrift zurück. Des Weiteren werden die Mitglieder des Geheimen Rats beauftragt, die alten Rechte der Landschaft zu bestätigen und neue Rechte mit Rücksichtnahme auf die Wünsche der Landschaftsbewohner zu untersuchen. Die getroffenen Entscheidungen sollen verbrieft werden und alle Vögte werden damit beauftragt, deren Befolgung genau zu beobachten.

Im Jahre 1794 wurde in der LesegesellschaftOrganisation: der Gemeinde StäfaPlace: ein Memorial verfasst, worin verschiedene Rechte und Freiheiten für die Landschaft gefordert wurden. Die ZürcherPlace: Regierung sah das StäfnerPlace: Memorial als aufrührerisch und staatsgefährdend an, weshalb sie im Sommer 1795 mit der Besetzung StäfasPlace: sowie mit weiteren Strafmassnahmen reagierte (vgl. die Verordnung betreffend Mobilmachung von 1795: SSRQ ZH NF I/1/11, Nr. 99).

Seit 1797 wurde der Druck FrankreichsPlace: auf das eidgenössischePlace: Gebiet stärker und die Besetzung durch französischePlace: Truppen stellte auch für ZürichPlace: eine zunehmende Bedrohung dar. Im November 1797 wurden vermehrt Stimmen laut, die eine völlige Amnestie der im Stäfnerhandel verurteilten Personen forderten. Nachdem mit der Verordnung vom 17. Januar 1798 zwar eine Kommission für die Anliegen der Landschaft eingesetzt worden war, in der Verordnung aber weder die Amnestie der Verurteilten noch die Handelsfreiheit vorgesehen war (Edition: Hunziker, Unruhen, Beilage XVIII, S. 320-322), kam es in grossen Teilen der Landschaft zu einer feindseligen Stimmung, tumultartigen Zuständen sowie Spott und Hohn gegenüber der städtischen Obrigkeit. Schliesslich wurde in der Ratssitzung vom 29. Januar 1798 nicht nur die Amnestie aller am Stäfnerhandel beteiligten Personen, sondern auch die Handels-, Handwerks- und Studierfreiheit durch Bürgermeister David von WyssPerson: zugesichert (StAZH B II 1060, S. 34-38). Obwohl die Gefangenen am 30. Januar 1798 befreit wurden, weigerte sich der Grossteil der Landschaftsangehörigen der am 31. Januar erfolgten Aufforderung der ZürcherPlace: Obrigkeit, Truppen gegen die FranzosenOrganisation: nach BernPlace: zu senden, Folge zu leisten. Am 5. Februar 1798 kam es schliesslich zum Rücktritt der ZürcherPlace: Obrigkeit, zur völligen «Freiheit und Gleichheit aller und jeder politischen und bürgerlichen Rechte zwischen den Einwohner der Stadt, des Landes und der Munizipalstädte» sowie zum Auftrag an die kürzlich gegründete LandeskommissionOrganisation: , eine neue Verfassung auszuarbeiten (Edition: Hunziker, Unruhen, Beilage XXIII, S. 328-329).

Zum Stäfnerhandel und zur FranzösischenPlace: Revolution vgl. HLS, Stäfnerhandel; Graber 2003a; Ulrich 1996, S. 493-500; Mörgeli 1995; Wartburg 1956.

Edition Text


Wir Buͤrgermeister, Klein und Grosse
Raͤthe der Stadt und Republik ZuͤrichPlace:
Organisation:

entbieten allen Unsern G LGetreuen Lieben Buͤrgern und Angehoͤrigen Unsern bestgeneigten Willen, und geben Ihnen anmit folgendes zu
vernehmen:

Gemaͤß den Landesvaͤterlichen Aeusserungen, welche Unsere Proklamation vom 17. JennerDate: 17.1.1798 enthaͤlt,1 haben Wir, sowohl die ausfuͤhrlichen
Berichts-Erstattungen Unsrer auf die Landschaft abgeordnet gewesenen
Standesdeputationen, als die an Unsere eigens verordnete Ehrenkommißion bisher eingekommenen Wuͤnsche und Begehren Unserer G
L
Getreuen Lieben
Angehoͤrigen, guͤnstig beherziget.

Hierbey hat sich gezeiget, dass eine Hochobrigkeitliche Amnestie,
ruͤksichtlich auf die in den Jahren 1794Date: 1794 und 1795Date: 1795 vorgefallenen Unruhen auf hiesiger Landschaft, theils von verschiedenen Gemeinden dringend angesucht wird, theils uͤberhaupt in den Wuͤnschen Vieler von
Unsern G LGetreuen Lieben Buͤrgern und Angehoͤrigen liegt. Auch haben Unsre Ehrendeputationen Uns verschiedene mildernde Umstaͤnde in Bezug auf
jene Unruhen hinterbracht.

Aus diesen Gruͤnden und vornehmlich in der sichern Hoffnung, durch
Erfuͤllung der erwaͤhnten Wuͤnsche, alle Unsre G LGetreuen Lieben Angehoͤrigen, nach
ihrer dießfaͤlligen feyerlichen Zusage, zu bereitwilliger Huͤlfleistung und
Beschuͤtzung des Vaterlandes in den obschwebenden Gefahren zu verei[fol. 1v]Page breaknigen, haben Wir wirklich, geneigt und einmuͤthig, eine solche vollkommene Amnestie bewilliget und erkannt.

Demzufolge verordnen Wir, es sollen alle, aus Veranlassung
mehr-erwaͤhnter Unruhen, gefaͤnglich eingezogenen, verwiesenen, fluͤchtig
gewordenen, oder mit Geldbußen, Kriegs-Anlagen, oder auf andere
Weise bestraften Personen, theils auf freyen Fuß gestellt, theils in ihre
Heimath zuruͤkgelassen, theils wiederum in den Besiz ihrer Ehre, und
der bezahlten Bußen, Anlagen, oder konfiscierten Gutes gesezt werden.
Auch sollen die obere und untere Wacht der Gemeinde StaͤffaPlace: ihre noch
in hiesiger Verwahrung liegenden Waffen zuruͤkerhalten. So wie Wir
aber Unsern betreffenden Angehoͤrigen eine gaͤnzliche Vergessenheit jener
unruhigen Vorfaͤlle bewilligen, um alle daraus entstandene, und fuͤr
das allgemeine Beste nachtheilige Bitterkeit auszuloͤschen, ‒ eben so verordnen Wir auch bestimmt, daß niemand gegen irgend einen Amnestierten, und gleichmaͤßig kein Amnestierter gegen irgend jemand, das
Vorgefallene, mit Worten oder mit Werken, im mindesten zu ahnden sich
unterfangen solle.

Da inzwischen zu Befoͤrderung der so noͤthigen Eintracht zwischen
Stadt und Land, Uns die moͤglichste Befriedigung Unsrer G LGetreuen Lieben Angehoͤrigen in jeder Ruͤksicht hoͤchst angelegen ist, so haben Wir ferner gutgefunden und erkannt, daß allen Herrschaften oder Gemeinden Unsrer
Landschaft, verlangenden Falls, die von ihnen, in fruͤhern oder spaͤtern Zeiten, freywillig zuruͤkgestellten Urkunden, namentlich die sogenannten Waldmannischen und Cappeler-Briefe, wiederum in Originali, gegen die diesfaͤlligen Empfang-Scheine, oder in vidimierter Abschrift zukommen sollen.
[fol. 2r]Page break

Ausserdem aber und hauptsaͤchlich haben Wir Unsern Geheimen Raͤthen
und Zugeordneten aufgetragen, in schleunige Vorberathung zu nehmen,
auf was Art und Weise die genossenen alten Rechte und Freyheiten
Unsrer Landschaft neuerdings befestiget, oder Ebenderselben auch neue, mit
der allgemeinen Wolfahrt vereinbare Rechte und Vortheile, ertheilt
werden koͤnnen. Bey dieser ganzen Berathschlagung wird sowohl auf die
bereits eingekommenen Wuͤnsche und Begehren Unsrer G LGetreuen Lieben Angehoͤrigen,
als auf diejenigen, welche weiterhin, auf dem nunmehr gesezlich angewiesenen Weg, zu Unsrer Kenntniß gelangen, ‒ moͤglichste Ruͤksicht genommen
werden. Dabey sind Wir des festen Willens, die Schlußnahmen, welche Wir,
mit moͤglichster Befoͤrderung, in Bezug auf diese Gegenstaͤnde treffen werden,
‒ seiner Zeit, zu Handen Unsrer saͤmmtlichen Herrschaften und Vogteyen,
durch besondere Instrumente feyerlich zu verbriefen, deren genaue Beobachtung, bey den jedesmaligen Huldigungen, durch Unsere verordneten
Ober- und Landvoͤgte in Unserem Nammen, eidlich zugesichert werden soll.

Die Guͤte des Hoͤchsten gebe zu allen diesen treugemeinten Maaßreglen ein gnaͤdiges Gedeyen, und lenke alle Gemuͤther, zu Stadt und
Land, zu aufrichtiger und warmer Treue, gegen Unser bisher so gluͤkliches, nunmehr aber von so grossen Gefahren umringtes Vaterland!

Geben in Unsrer grossen Rathsversammlung,
Montags den 29. Jenner 1798Date of origin: 29.1.1798.

Canzley der Stadt ZuͤrichPlace: Organisation: .
[fol. 2v]Page break

Notes

    1. Gemeint ist die Proklamation der Stadt ZürichPlace: vom 17. Januar 1798. Darin wird darauf hingewiesen, dass, um die «Eintracht» zwischen Stadt und Landschaft zu fördern, eine Kommission eingesetzt werde, an welche alle Landsleute ihre «Anliegen mit kindlichem Zutrauen» vorbringen können (Edition: Hunziker, Unruhen, Beilage XVIII, S. 320-322).