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SSRQ ZH NF II/11 143-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft. Band 11: Die Obervogteien um die Stadt Zürich, by Ariane Huber Hernández and Michael Nadig

Citation: SSRQ ZH NF II/11 143-1

License: CC BY-NC-SA

Bittschreiben der Gemeinde Albisrieden um Nichtversetzung des Wasenwinkels auf die Allmende

1690 April 1.

Die Abgeordneten der Gemeinde Albisrieden gelangen an Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich mit einer Bitte. Sie haben vernommen, dass der Winkel (Schindanger) des Wasenmeisters neben das Hochgericht auf ihre Allmende versetzt werden soll. Dadurch würde der Gemeinde grosser Schaden entstehen. Da die Landstrasse und die Wege zum Hochgericht bei nassem Wetter fast unbrauchbar seien, würde das Volk über die Güter und Felder der Gemeinde laufen (1). Die Knechte des Wasenmeisters könnten die Kadaver unterwegs einfach in die Felder werfen, weil der Winkel so abgelegen liegt. Zudem würden ihre jederzeit mitlaufenden Hunde die Güter schädigen (2). Der Ort ist nicht nur weit abgelegen von der Stadt, sondern auch von fliessendem Wasser, welches zu solchen Verrichtungen nötig wäre (3). Der Schindanger käme auf ihre Allmende selbst zu liegen, wo nicht nur das Vieh von Albisrieden, sondern auch von Wiedikon und manchmal sogar von Altstetten weidet. Es ist zu befürchten, dass das Vieh, wenn es Aas riecht, in Panik ausbrechen und sich gegenseitig erdrücken würde, neben vielen anderen Schäden, die in solchen unangenehmen Nachbarschaften entstehen können (4). Aus diesen Gründen bittet die Gemeinde Albisrieden darum, dass Bürgermeister und Rat einen anderen Platz auswählen, der nicht ganz so abgelegen ist und näher am Wasser liegt.

  • Shelfmark: StAZH A 154, Nr. 80
  • Date of origin: 1690 April 1
  • Transmission: Entwurf (Doppelblatt)
  • Substrate: Papier
  • Format h × w (cm): 20.5 × 32.5
  • Language: German

Das Amt des Wasenmeisters oder Abdeckers wurde im deutschen Sprachraum oft vom Scharfrichter ausgeübt, so auch in ZürichPlace: . Durch die Verleihung des Abdeckereiprivilegs an den Henker konnte dieser seinen Lebensunterhalt besser bestreiten und die Obrigkeit konnte es sich leisten, dauerhaft einen Scharfrichter zur Verfügung zu halten. Allerdings führte dieser nur die Aufsicht über das «Abdecken» (Abziehen der Häute) und «Verlochen» (Vergraben der Kadaver); ausgeführt wurden diese Arbeiten von seinen Knechten. Im übrigen EuropaPlace: ist die Verbindung von Scharfrichter und Abdeckerei hingegen weitgehend unbekannt (vgl. Enzyklopädie der Neuzeit, Scharfrichter, Sp. 658-661).

1689 entschied der ZürcherPlace: RatOrganisation: , dass der bisherige Wasenplatz, der sich beim Schützenplatz vor dem Stadttor befand, dem Ausbau der Befestigungsanlagen zu weichen hatte (zum Bau der Stadtbefestigungen vgl. den Kommentar zu SSRQ ZH NF II/11 122-1). Daher musste ein neuer Standort für den Wasenwinkel gefunden werden. Die Suche gestaltete sich allerdings schwierig. Am 7. Januar 1689 wurde eine Ratsdelegation damit beauftragt, mit der Gemeinde WiedikonPlace: einen neuen Standort, die Grösse des Winkels und die Bezahlung dafür zu bereden (StAZH B II 625, S. 5). Am 16. Januar verordnete der RatOrganisation: , dass die Mauer um den Wasenplatz abgebrochen und die Steine für den Schanzenbau verwendet werden sollten. Die Ratsdelegation solle gemeinsam mit Untervogt und Geschworenen von WiedikonPlace: und dem Wasenmeister noch einmal einen Augenschein nehmen. Aus verschiedenen Gründen sei der Platz an der unteren BrunauPlace: günstig, weshalb die Verordneten ihn der Gemeinde WiedikonPlace: vorschlagen sollten (StAZH B II 625, S. 18-19).

Die Ratsabgeordneten erstatteten am 31. Januar Bericht: Besichtigt worden war der Platz gegen den GiesshübelPlace: (zu abgelegen, zu unbequem zum Graben), der Platz bei Jacob TrüebsPerson: Gut (wäre Vogt und Geschworenen von WiedikonPlace: genehm, aber dem Wasenmeister zu weit weg) und ein Platz unter dem SihlhölzliPlace: , zu dem es keine Beschwerden gab (StAZH A 154, Nr. 79). Am 10. Juli 1689 bat Wasenmeister Jacob VollmarPerson: darum, dass der Wasenwinkel auf dem Platz entweder wieder ummauert und so brauchbar gemacht werde oder dass ihm ein anderer Winkel zugewiesen werde. Daraufhin wurde beschlossen, mit Fähnrich SteinbrüchelPerson: zu verhandeln wegen seines Gutes auf dem Platz, so dass der Bau der Fortifikationen weitergeführt werden könne (StAZH B II 627, S. 11). Am 19. Dezember 1689 wird verordnet, unverzüglich mit dem weiteren Bau und Ausbau der Fortifikationen fortzufahren; dem Wasenmeister soll ein anderer Platz auf dem GmeimeriPlace: gezeigt und übergeben werden. Er soll das Vieh zu allen Zeiten verlochen und bedecken und den Platz mit einer Mauer einfassen (StAZH B II 627, S. 156-158). Diese Anordnung musste allerdings am 29. März 1690 noch einmal wiederholt werden, zusammen mit dem Befehl, das Gut SteinbrüchelsPerson: zu einem freien offenen Platz zu machen und die Mauer und dortigen Gebäude innert 14 Tagen abzureissen (StAZH B II 629, S. 84-85).

Die Gemeinde AlbisriedenPlace: reagierte aber auf die drohende Versetzung des Winkels auf ihr Gemeindewerk mit dem untenstehenden Bittschreiben, worauf das Verfahren am 28. April wieder sistiert wurde, um die Gemeinden AltstettenPlace: , AlbisriedenPlace: und WiedikonPlace: anzuhören (StAZH B II 629, S. 112). Zwei Tage später, am 30. April, wurde erneut eine Ratsdelegation mit der Standortevaluation beauftragt (StAZH B II 629, S. 118). Deren Bericht vom 2. Mai 1690 umfasste nun acht mögliche Standorte: 1. den bisherigen Ort, wo die SihlPlace: in die LimmatPlace: fliesst; 2. auf dem GmeimeriPlace: beim Hochgericht; 3. auf dem GmeimeriPlace: , aber näher bei der Stadt, wo dem Wasenmeister selbst ein Stück Land gehört; 4. näher bei WiedikonPlace: auf dem sogenannten SaumPlace: ; 5. den eigenen Wasenwinkel von WiedikonPlace: ; 6. bei der Lehmgrube (Leimgrub); 7. hinter dem SihlhölzliPlace: und 8. auf dem GiesshübelPlace: bei Jacob TrüebsPerson: Gut. Zu allen Standorten gab es Einwände, aber die Abgeordneten empfahlen den Ort beim Hochgericht (StAZH A 154, Nr. 82).

Der Rat folgte dieser Empfehlung und ordnete am 7. Mai an, diesen Platz dem Wasenmeister zuzuweisen und mit einer Mauer zu umfassen (oder wenigstens provisorisch mit einem Setz- und einem dahinter gepflanzten Grünhag). Der Wasenmeister bekam aber die Auflage, das Vieh winters wie sommers zu verlochen und gut zu bedecken; dazu musste er bereits im Herbst eine Grube ausheben. Ausserdem sollte er nur das Vieh dort verlochen, das «inn und allernechst umb die statt» abginge, nicht aber jenes aus den äusseren Gemeinden, dem SchwabenlandPlace: oder anderen entlegenen Orten. Die Gemeinde WiedikonPlace: solle gemäss ihrem Angebot die Strasse zum Winkel reparieren und unterhalten. Die Säckelmeister sollen den genauen Ort und die Grösse des Winkels bestimmen, wegen der Mauer mit dem Bauherrn sprechen und die Kosten berechnen, mit der Gemeinde AlbisriedenPlace: die Lieferung der Steine bereden und den Wasenmeister zu fleissiger Verlochung des Viehs anhalten (StAZH B II 629, S. 127-128). Als sich nun die Anstösser des ausgesteckten Platzes beschwerten, wurde das Geschäft abermals vertagt bis zur Heimkunft von Statthalter MeyerPerson: und mit der Einzäunung des Platzes innegehalten; das zwischenzeitlich abgegangene Vieh sollte aber trotzdem dort verlocht werden (StAZH B II 629, S. 147-148).

Am 5. Juni wurden Bauherr HolzhalbPerson: und Bergherr BlarerPerson: beauftragt, zum letzten Mal einen Augenschein zu nehmen, wo auf dem SaumPlace: , aber so weit von Dorf und Gütern entfernt wie möglich, der Winkel angelegt werden könnte (StAZH B II 629, S. 169). Dagegen protestierte aber jetzt die Gemeinde WiedikonPlace: und bat darum, den Wasenwinkel nicht auf die Stelle auf dem SaumPlace: zu setzen, sondern lieber beim GmeimeriPlace: zu bleiben (StAZH A 154, Nr. 81), worauf der RatOrganisation: am 19. Juli 1690 die Ratserkenntnis vom 7. Mai wiederholte und in Kraft setzte (StAZH B II 631, S. 30-31). Archäologische Ausgrabungen zeigen, dass der Wasenplatz schlussendlich tatsächlich beim Hochgericht zu liegen kam; wenige Meter von der Stelle entfernt, wo heute der Pavillon im Freibad LetzigrabenPlace: steht (Motschi/Muntwyler 2006).

Die Verbindung von Richtplatz und Wasenwinkel ist auch an anderen Orten nachgeweisen, z.B. EmmenbrückePlace: , WillisauPlace: und SurseePlace: (vgl. Manser 1992, S. 208, Anm. 3). Verschiedene Ordnungen und Ratserkenntnisse für den Scharfrichter und Wasenmeister zwischen 1617 und 1746 finden sich in StAZH B III 204 und 205; eine Ordnung von 1684 hält auch die Einkünfte für die Abdeckerei fest (StAZH B III 204, fol. 13v-19r, ediert in Ruoff 1935). Vgl. zum Wasenplatz und der Abdeckerei die sehr gut untersuchte Situation von EmmenbrückePlace: (Manser 1992); für ZürichPlace: Ruoff 1934, Ruoff 1935 und Motschi/Muntwyler 2006; allgemein Wilbertz 1979, Nowosadtko 1994, Enzyklopädie der Neuzeit, Scharfrichter, Sp. 658-661.

Edition Text

Herr burgermeister etcAbbreviation,
hochgeachte, woledle, gestrenge, veste, ehr-
und nothveste, fromme, fürnemme, fürsichtige
und weise, insonders hochgeehrte gnädige
herren und vätter.
Wir, die abgeordnete einer gmeind AlbisriedenPlace: Organisation: ,
eüwere getreüwe und gehorßamme underthannen,
erschynen vor eüch, unßeren gnädigen liebenAddition above the linea herren,
in nammen und von wägen der gantzen gemeindt
daselbsten mit undertheniger bitt, die väterlich geruehen woltend, unß in unßseren anbringen gnädigist zuverhören.
Es ist by weniger zeith unßerer gemeindt
bedaurlich vor kommen, wie das ihr, unßer
gngnädigen lieb herren, gesinnet, den also genannten
winkel des waßenmeisters uff unßers
gmeindwerch nechst dem hochgericht versetzen
zulaßen, dardurch dann unß besorgklich
allerhand schaden und unmuts erwachsen
thete. In demme:
Erstlich die landtstraß und fueswägUncertain readingb bis
c–zu dem hochgerichtCorrection on the left margin, replaces: uff die wâhlstatt–c by naßem wetter vast
ohnbrauchbahr und ohnverzühnt, in welicher
beschaffenheit das volkch d
über unßere güeter
lauffen und also die frücht und güeter
schädigen wurde.
Zum anderen, das etwann der waßenmeister knecht haben könte, weliche, wann [p. 2]Page break
sie saumselig werend, das eint ald ander
abgangen stukch vych, von hünden, auch andren unflätereyenAddition on the left margine mehr revreverenter1, wegen abgelegenheit des
winkels underwegs in unßere frücht
hinein werffen, desglychenCorrection on the left margin, replaces: möchtend auchf durch
ihre jederzeith mit laufenden hünd großen
schaden zufüegen möchtend, dardurch
uns nith nur allerhand unglegenheiten,
sonder auch verschreyung der güeteren
erwachßsen thete.
Drytens, das dis orth von der stadt
zimblich weith abgelegen, auch sehr von
rünnendem waßer, weliches doch zu derglychen verrichtungen ohnvermydenlich
nothwendig ist.
Viertens were dißes ohnsaubere orth
in der gmeindt allment selbsten, allwo
die meiste zeith des jahrs der gmeindt
WiedikhenPlace: und unßer, auch gar bißweilen
der AltstedterPlace: vych zu weid gehet und
zusammen stoßet. Wann nun diß arme
vych etwas von abgangnen sachen revreverenter schmöken und vernemmen thete, were zu besorgen,
das selbiges, wie es by derglychen anläsen mehr beschechen, errasen,
g–zusammen lauffenCorrection on the left margin, replaces: und wild werden–g h und sich under einanderen ertrukhen ald sonst beschedigen
thete, zugeschwigen viller anderer [p. 3]Page break
verdrießlichkeithen, schadens, verschreyung
und ungelegenheithen, so in derglychen ohnangenemmen nachbaurschafften erwachsen
möchtend.
In erwegung nun bygebrachter gründen
leben wir der getrosten hoffnung, ewreuwer
gnaden und wysheit, ihr, unßer gngnädigen lieb
herren, werden in dißerem fahl nach
dero anerbohrnen väterlichen gnad und
güete unß gnädig verschonnen und etwan
ein ander, nith so gar abgelegen, sonderbahr aber dem waßer beqüemer orth
hier zu verordnen, wie wir dann hier
für underthenig und demüethig biten,
alß die wir sind und verblyben.
Euwer gnaden und wysheit
gehorsamme und getreüwe
underthannen
i–
Geben, den ...Gap in the original (2 cm)j aprellen
1690
Date of origin: April 1690
2.
Addition on the left margin with different ink
–i
Ein gantze gemeind Rieden
am Albiß
Place:
Organisation:
[p. 4]Page break
[Dorsal notation on the reverse side in a hand of the 17th century:]
Supplication
der gmeind Rieden amm AlbißPlace: Organisation: , daß
der wasen-winckel nicht auff ihr
gmeind-werckh gesetzt werde
[Dorsal notation on the reverse side in a hand of the 17th century:]
Was hierüber erkhandt worden, ist zusehen im underschreiber manual sub
30ten aprilii anno 1690Date: 30.4.16903

Notes

  1. Addition above the line.
  2. Uncertain reading.
  3. Correction on the left margin, replaces: uff die wâhlstatt.
  4. Deletion of the addition above the line: so gewohnlich den
    armen sündern nach folgend.
  5. Addition on the left margin.
  6. Correction on the left margin, replaces: möchtend auch.
  7. Correction on the left margin, replaces: und wild werden.
  8. Deletion by crossed lines, uncertain reading: daruff er.
  9. Addition on the left margin with different ink.
  10. Gap in the original (2 cm).
  1. Mit Formeln wie «reverenter» («mit Verlaub zu sagen», abgekürzt rev. oder r.), «salvo honore» («ohne Verletzung der Ehre», abgekürzt s. h.), «salva venia» («ohne Euer Wohlwollen/Gnade zu verletzen», abgekürzt s. v.) oder «cum venia» («mit Ihrer Erlaubnis», abgekürzt c. v.) distanzierten sich die Schreiber vom 16. bis zum 18. Jahrhundert von unreinen, unflätigen, blasphemischen oder auch nur unfeinen Ausdrücken gegenüber einem (tatsächlichen oder potenziellen) Leser, vgl. Sabean 1996 (der das Phänomen im Zusammenhang mit der Herausbildung einer Beamten- und Akademikerklasse sieht, die sich vom bäuerlichen Leben immer mehr distanzieren wollte) und Mathieu 2000, S. 6-10 (mit Präzisierungen und weiteren Beispielen zum Raum der heutigen SchweizPlace: ).
  2. Platz für das Tagesdatum wurde zwar vom Schreiber ausgespart, später aber nicht ausgefüllt.
  3. StAZH B II 629, S. 118.