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SSRQ SG III/4 124-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, XIV. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen, Dritter Teil: Die Landschaften und Landstädte, Band 4: Die Rechtsquellen der Region Werdenberg: Grafschaft Werdenberg und Herrschaft Wartau, Freiherrschaft Sax-Forstegg und Herrschaft Hohensax-Gams, by Sibylle Malamud

Citation: SSRQ SG III/4 124-1

License: CC BY-NC-SA

Glarus hebt das Urteil des Gerichts in Werdenberg gegen Gabriel Beusch wegen Lästerung der Mutter Gottes (Blasphemie) auf und bestraft die Richter

1546 July 12.

Gabriel Beusch bezeichnet die Gottesmutter Maria in einem Wirtshaus unter Anwesenheit vieler Personen als Hure, die aus einem Frauenhaus käme und nichts wert sei. Glarus schickt daraufhin Vogt Konrad Hässi nach Werdenberg, der den Richtern vor dem Endurteil mitteilen soll, dass Glarus wünscht, dass der Delinquent ohne Gnade an Leib und Leben verurteilt werde.

Nach der Rückkehr berichtet Konrad Hässi, dass der Delinquent mit dem Leben davon gekommen sei und vom Gericht nicht so verurteilt worden sei, wie Glarus dies gefordert habe.

Glarus hebt deshalb das Urteil auf und will den Delinquenten selbst verurteilen. Mittlerweile ist Gabriel Beusch aber geflüchtet und Glarus befiehlt, dass man ihn sofort gefangen nehmen soll. Wer ihm Unterschlupf gewährt, wird hart bestraft werden.

Jeder Richter wird mit 30 Gulden gebüsst und verliert seine Ehre und Wehrhaftigkeit. Wer die Busse nicht bezahlen kann, muss sie im Gefängnis absitzen, für 3 Gulden pro Tag und Nacht.

Der Aussteller siegelt.

  • Shelfmark: StASG AA 3 A 5-1b
  • Date of origin: 1546 July 12 (den xij tag howmonat)
  • Transmission: Original (Doppelblatt)
  • Substrate: Papier
  • Format h × w (cm): 21.0 × 29.5
  • 1 seal:
    1. GlarusOrganisation: , papered seal, round, applied, well-preserved
  • Language: German

  1. Wenige Tage vor Ausgabe der hier edierten Aufhebung des gerichtlichen Urteils durch Glarus, meldet am 5. Juli 1546Date: 5.7.1546 Landammann Dionys BussiPerson: von GlarusPlace: an der JahrrechnungTerm: in BadenPlace: , dass jemand in WerdenbergPlace: die Mutter Gottes als HureTerm: beschimpft habe und man ihn in Werdenberg vor das LandgerichtTerm: gestellt und den LandrichternTerm: befohlen habe, den Lästerer an Leib und Leben zu bestrafen. Trotz dieser Warnung hätten die Landrichter den DelinquentTerm: nur zu einer EhrenstrafeTerm: , nämlich ein paar Schläge durch den HenkerTerm: , verurteilt. Die Herren von GlarusOrganisation: hätten darauf das UrteilTerm: aufgehoben und die Richter ehr- und wehrlos erklärt und mit 40 Gulden bestraft (in der hier edierten Urkunde fällt die Strafe jedoch etwas milder aus). Da jedoch am Landgericht nach altem Brauch zwei Richter aus der Grafschaft SargansPlace: sitzen, verlangt er von den Eidgenossen, diese beiden Richter auch zu bestrafen (EA, Bd. 4/1d, Art. 301e). Der Begriff Landgericht oder Landrichter stammt hier aus den Eidgenössischen Abschieden und wird in zeitgenössischen Werdenberger Quellen nur in einem Fragment (SSRQ SG III/4 98-1) für das Hochgericht verwendet, das möglicherweise der Herrschaft Hohensax und GamsPlace: zugeordnet wird. Bei Beusch wird der Begriff Landgericht mit dem Werdenberger Zeitgericht gleichgesetzt (Beusch 1918, S. 57–58).

  2. Der Fall ist in verschiedener Hinsicht interessant: Laut dem sogenannten Verzicht- und Gnadenbrief verlieren die Werdenberger das Recht, Übeltäter gefangen zu nehmen, vor ihr eigenes Hochgericht zu laden und zu bestrafen (SSRQ SG III/4 110-1). Doch diese Aufhebung des Urteils durch Glarus zeigt, dass Werdenberg über ein eigenes HochgerichtTerm: verfügt, mit dem Recht, über Leben und Tod zu richten. Das Hochgericht ist jedoch kein von der Obrigkeit Glarus unabhängiges Gericht; vielmehr wird den Richtern vor dem Endurteil die Erwartung von Glarus bezüglich des Urteils bekannt gegeben und es wird davon ausgegangen, dass sich die Richter danach richten. Als sie der Empfehlung von Glarus nicht Folge leisten, werden sie mit Ehr- und Wehrlosigkeit sowie mit hohen BussenTerm: bestraft. Ausserdem kann Glarus ohne Weiteres das Endurteil des Hochgerichts aufheben, den Fall an sich ziehen und selbst beurteilen. Glarus droht zudem, der Herrschaft bei Wiederholung einer solchen WidersetzlichkeitTerm: das Hochgericht zu entziehen.

    Nach Beusch liegt die Ausübung der HochgerichtsbarkeitTerm: beim Rat von GlarusOrganisation: (Beusch 1918, S. 59–60) und nur die Voruntersuchung obliegt dem Landvogt. Die Quelle zeigt jedoch, dass Werdenberg zumindest im 16. Jh. ein selbständig urteilendes Hochgericht besitzt. Sowohl das Hochgericht als auch die Hinrichtungsstätte müssen zwar weiter bestanden haben (vgl. die Hochgerichtsform der Landvogtei Werdenberg, PGA Buchs B 11.21-04, S. 53–69, gedruckt bei Senn, Gerichts-Form, vgl. auch den Kommentar in SSRQ SG III/4 225-1), doch die Glarner Ratsprotokolle aus dem 18. Jh. zeigen eindeutig, dass der Landvogt die Voruntersuchung leitet, danach die Unterlagen nach Glarus schickt, wo sie vor dem Glarner Rat verlesen werden. Dieser fällt das Urteil und schickt dieses nach Werdenberg, wo vor dem Hochgericht nur noch die formale Bestätigung sowie die Vollstreckung des Urteils stattfindet (vgl. z. B. LAGL AAA 1/58, 16.06.1735 oder LAGL AAA 1/59, 24.09./05.10.1737; ähnlich wie in Hohensax-Gams, vgl. SSRQ SG III/4 224-1). Ab wann die Werdenberger Richter im hochgerichtlichen Verfahren das Glarner Urteil nur noch formal bestätigen, ist nicht bekannt. Die Durchsicht zahlreicher Ratsprotokollbände Ende des 16. und Anfang des 17. Jh. hat nichts ergeben (die Gemeinen Ratsprotokolle von Glarus haben nur bis 1625 ein Register. Da Hochgerichtsfälle selten sind, ist es in den späteren Jahren praktisch unmöglich, in vernünftigem Zeitaufwand einen Hochgerichtsfall zu finden, der nicht anderswo dokumentiert ist. Der Übergang war möglicherweise fliessend). Spätestens ab Mitte des 17. Jh. ist diese Verfahrensform üblich, denn in der Verwaltungsreform von 1653 und später in der Remedur von 1725 heisst es, dass in Malefizsachen «ein jederweilliger landtvogt unß bericht ze thuen und unßers guetachten, rath und bevelchs zu erwarten wüßen wirt.» (SSRQ SG III/4 185-1, Art. 13; SSRQ SG III/4 216-1, Art. 16).

  3. Über die Verfassung dieses Hochgerichts ist kaum etwas bekannt, da keine Gerichtsprotokolle der Landvogtei Werdenberg überliefert sind. Die nach Glarner Vorbild angelegte Hochgerichtsform von Werdenberg zeigt nur den formelhaften Ablauf eines Hochgerichtsverfahrens. Die Hochgerichtsform stammt laut Beusch aus dem Jahr 1592Date: 1592 (ohne Beleg). Die Vorlage der von Senn gedruckten Hochgerichtsform ist ein Nachtrag aus der Mitte des 17. Jh.Date: 1.1.1601 – 31.12.1700, die sich im Werdenberger Landbuch von 1639Date: 1639 im PA Buchs (vgl. dazu den Kommentar in SSRQ SG III/4 225-1) befindet. Eine Abschrift im Landesarchiv Glarus (LAGL AG III.2462:012) datiert aus dem Jahr 1690Date: 1690. Über das Hochgericht wissen wir nur, dass zwei Richter dieses Hochgerichts aus der Landvogtei SargansPlace: , wohl aus der Herrschaft WartauPlace: , stammen. Die beiden Richter der Herrschaft Wartau sind Eigenleute von Glarus, unterstehen jedoch nicht der Hochgerichtsbarkeit der Landvogtei Werdenberg. Die Besetzung des Gerichts erfolgt nach der territorialen und nicht der rechtlichen Zugehörigkeit.

    In den GerichtsordnungenTerm: , die in den UrbarenTerm: überliefert sind, wird nur das NiedergerichtTerm: , das sogenannte ZeitgerichtTerm: im Mai und im Herbst mit sieben Richtern genannt, das über Gut und Ehre richtet (SSRQ SG III/4 143-1, Art. 1; SSRQ SG III/4 229-1, Art. 2.1).

Edition Text


Wir, der stadhallter unnd rath an stat unnd uß gwalt
einer ganntzenn lanndtzgemeindtOrganisation: zu GlarusPlace:
Organisation:
, fuͦgennt allen
dennenn, so inn stadt unnd lanndt inn unnser herschafft
WerdennbergPlace:
Organisation:
sindt, unnd besonnders denen, so nach
volgennd sachenn berurenn will, zu wüssen, so dann Gaͤbly
Büsch
Person:
die ewig rein magt MariaPerson: , die gebererin unsers
trosts unnd heyllandts Jesu ChristiPerson: , an ir heilig eereTerm:
verruchtlich, ungcristennlich, ja unmentschlich in
offem wirtz hußTerm: inn bywesenn viler personen, ferembder
undAddition on the left margina heymscher, gesmechtTerm: und ein huͦrenTerm: geschulten, die nütt
besser sölle synn dann ein andere huͦrTerm: , die uß dem huͦrhußTerm: komen unnd sy nütz wert. Wie dann söllichs
alles b–durch durchCorrected: durch–b die kundtschafftTerm: gnugsam erwisen
wordenn, das er sämblichs greth hab.
Unnd dann
wir derhalb vormals unseren lieben und getrüwenn
rathsfrundt, denn vogt Cuͦnradt HässyPerson: in gemelt
graffschafft mit entlichem bevelch abgefertigett haben,
das er gegent dem selbenn verruchten, gottlossen
mentschenTerm: allem das bloß recht on alle verschonungen
libs unnd lebennsTerm: handle und fürnemen welle. Und
er dann solich unnser meynung und will den richterenTerm:
unnd einem grichtTerm: vor uß sprechung der endt urtelTerm:
eroffnet, damitt sy sich demnach wüssent ze richten haben,
dann wir dem kein gnadt miteillen mögent noch wellent,
der sich selbs an gottlicher manestettNotable spelling1 unnd siner wirdigen
muͦterTerm: Addition on the left marginc so hochlich verletz hatt. Ouch inn dem stücken, so am
meistenn unseren waren christenlichen gloubenTerm: berërdt,
dann wir gemeyndlich im glouben beckennen und vorsechennd, das der sonn gottes rein erboren uß der reinen
junckfrouwenTerm: vonn dem heiligen geistTerm: empfanngen etcAbbreviation. Wie
dann vilfaltig nüw und alt testennmentsTerm: der halb
ware kundtschafft unnd meldung thutt.
Über söllichs
alles wir jetz vonn gemelten ratzbotten, als er wider
an heymsch komen, bricht, das gedachter boser mendschTerm: , der
GeblyPerson: , mit dem lebenTerm: darvon komen unnd kein urthel [fol. 1v]Page break
vonn dem gricht nie gsprochenn, die im sin leben in einichem
weg berürt hab unnd dennocht die richterTerm: vonn im, dem
bottenn, ernstlich zu vor unnsers willens und der grusamme
red ermannt wordenn. Jedoch hatt es alles nütt beschlossen
zu glicher wyß alles, ob sy selbs der redt kein acht gebendt,
wyl unnd dann kundt und offennbar und am tag lyt, das
das gemelt gricht alhie wider gott unnd alle recht der geistlichen
unnd weltlichenn lüttenn ouch wider alle billicheytt. Des
wir uns alles ein oberkeytt der enden größlich schemenTerm:
müssennt, wo das uß kompt, gricht und geurteilt haben
unnd dann gott unnd die menschen, so christen lütTerm: sintt,
ann uns mittler zytt söllich urtelen uns erforderungNotable spelling.

So habennt wir uff hütt dises brieffs dato uß macht
unnd gewalt und ouch nach unser regalienTerm: und
fryheyttenn, damit wir vonn küngTerm: und keysserennTerm:
gefryttTerm: syndt, obgemelt urtel, so wider gott, eer und
recht gefelt, uffgeheptTerm: unnd hinabkenntt, hebennt
die uff und beckennd sy ab in chrafft diß brieffs:
Also
das wir gegent dem secherTerm: , wann wir den gehalten mögent,
wyter recht werdent ergann lassen, jetz als dann und
dann als jetz. So dann wie ouch bricht, das gedachter
GebliPerson: landflüchtigTerm: worden und unser wyter rechtferttigung nütt erwarten wellen, so gebiettendt wir
allen unseren der graffschafft WerdenbergPlace: , in stadt
unnd lanndt
Organisation:
, wer des ansichtig und gwar wurde, da
soll mann inn ungewarneter sacherTerm: vencklichTerm:
annenemmennNotable spelling unnd denn einem landtvögtTerm: uber
antwurtenn
Term:
. Unnd wer der were, der sollichs
nüt erstattete und im underschloüffTerm: gebe, tags oder
nachtz
Term:
, denn werdent wir straffen der massen, das
einer wette, er were sy müssig gangen.
UmdNotable spelling dem
nach gemelt gricht, so lichtfernigTerm: das rechtTerm: , die thatt
und unser ernstlich ermann und warnen uber sechen
und verachtett, so beckenenndt wir aber in krafft
dises d unsers offenen brieffs, das sy nütt me
tügennlich zu keinen eern beckenndt. Beckenendt
sy der massen ab vonn eer und geweerTerm: etcAbbreviation, [fol. 2r]Page break
namlich alle, die so in unser herrschafft gsessen und
da urtel gesprochen und gefelt habent, darzuͦ ein jeder
drissig guldinCurrency: 30 guilders zu rechter bußTerm: , uns alles der oberhandt
biß zu nechsten sant MartisPerson: tagDate: 11. November (period) erlegen und betzallen. Und
welcher dann so armmTerm: am guͦttTerm: , der soll es in dem bösen
thüren
Term:
ablegen, allweg mit einer nacht und tagTerm: iij Currency: 3 guilders biß
zu volliger verrichtung diser buͦß.
Darby wellent
wir ermant und gewarnett habenn
die unseren in stadt unnd lanndt WerdenbergPlace: Organisation: , das sy fürhin das gricht
der massenn beserennt und besorgenndt, das mann nach
dem rechten und nach der thattTerm: urtel fellTerm: , es betreff,
was es well, und allso gfarlich nüt meer farendt (wie
hie vor beschechen, dann so wyter der glichen und anders,
das gott lang wenden well und in keines menschen gedanck
unnd sin nitAddition above the linee me komen well) sich zu tragen würde, das mann
allda so gfarlich sich erzeigen wurdent, wir sölich
gricht zu unnseren handen ziehenn und sy an ir gricht
und fryheytten straffen, dann niemann sich der fryheyt
bruͤmenTerm: , dann der, so sich recht brüchenndt, wie dann
das keyserlich rechtTerm: zu geben.
Unnd zu warem,
offen urkundt habent wir unnsers landes
secret insigel uff disen brieff gethrückt, der gebent
ist uff mentag, den xij tag höwmonat im jar nach
der gebürt Christi tüsent fünffhündert viertzig
unnd sechs jar.
Date of origin: 12.7.1546
|Page break
[Dorsal notation on the reverse side in a hand of the 16th century:]
Straff des gerichtz zuͦ WerdenbergPlace: umb
das si Gäbli BuschenPerson: nit am leben
gestrafft, der die muͦterTerm: gottes mit
schantlichen worten geschmaͤchtTerm: hatf
[Registratur’s sign on the reverse side:] Ao 1546, den 12ten heüwmonet

Notes

  1. Addition on the left margin.
  2. Corrected: durch.
  3. Addition on the left margin.
  4. Deletion: brieffs.
  5. Addition above the line.
  6. Addition below the line in a hand of the 19th century?: unter aufhebung des urtheils.
  1. Hier handelt es sich wohl um einen Verschreiber für «majestätTerm: ».